VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Beschluss vom 04.01.2006 - 3 L 2551/05.KO - asyl.net: M7808
https://www.asyl.net/rsdb/M7808
Leitsatz:

§ 25 Abs. 5 AufenthG dient nicht als Auffangnorm für Fälle, in denen ein Ausländer die erforderlichen Integrationsleistungen nach § 26 Abs. 4 AufenthG nicht erfüllt; § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG ist nicht anwendbar, wenn der Ausländer erkennbar ausschließlich einen Daueraufenthalt anstrebt; die Abschiebungsandrohung ist nicht grundsätzlich entbehrlich, nur weil sich der Ausländer in Haft befindet.

 

Schlagwörter: D (A), Verlängerungsantrag, Fiktionswirkung, Erlaubnisfiktion, Verlängerung, Aufenthaltserlaubnis, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Niederlassungserlaubnis, vorübergehende Gründe, Ausreisehindernis, außergewöhnliche Härte, Integration, Abschiebungsandrohung, Haft, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 25 Abs. 2; AufenthG § 26 Abs. 2; AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 25 Abs. 4 S. 1; AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 59 Abs. 1
Auszüge:

§ 25 Abs. 5 AufenthG dient nicht als Auffangnorm für Fälle, in denen ein Ausländer die erforderlichen Integrationsleistungen nach § 26 Abs. 4 AufenthG nicht erfüllt; § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG ist nicht anwendbar, wenn der Ausländer erkennbar ausschließlich einen Daueraufenthalt anstrebt; die Abschiebungsandrohung ist nicht grundsätzlich entbehrlich, nur weil sich der Ausländer in Haft befindet.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg.

Der nach seinem Wortlaut auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 27. Oktober 2005 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. September 2005 gerichtete Antrag des Antragstellers bedarf allerdings zunächst der Auslegung (§ 88 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) dahingehend, dass der Antragsteller das Ziel verfolgt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihn vorläufig nicht abzuschieben. Zwar ist die Ablehnung der beantragten Verlängerung der dem Antragsteller zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis (vormals Aufenthaltsbefugnis) kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG -), so dass vom Ansatz her ein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO vorliegt. Ein Ausländer kann aber gegen die Versagung des begehrten Aufenthaltstitels nur dann vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO erlangen, wenn durch die gerichtliche Aussetzungsentscheidung ein durch die Ablehnungsentscheidung der Ausländerbehörde beendetes fiktives Bleiberecht des Ausländers gemäß § 102 bzw. § 81 AufenthG wiederhergestellt werden kann (vgl. zu der Rechtslage zu § 69 AuslG OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. November 1995 - 11 B 12451/ 95.OVG -; Gemeinschaftskommentar Ausländerrecht, Loseblattsammlung, § 69 AuslG Rdnr. 52). Ein solches fiktives Bleiberecht stand dem Antragsteller indessen bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht zu. Nach § 81 Abs. 4 AufenthG, der die Fiktionswirkung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltstiteln regelt, tritt diese nur ein, wenn der Antrag rechtzeitig, d.h. vor Ablauf der Befristung des bestehenden Aufenthaltstitels gestellt wird (Begründung zu Art. 1 § 81 des Gesetzentwurfes aus Bundestagsdrucksache 15/420, abgedruckt bei Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Kommentar, Loseblattsammlung, § 81 AufenthG). Dies ist vorliegend nicht erfolgt.

Vorliegend ist zunächst ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, denn es ist hinreichend wahrscheinlich, dass die zwangsweise Abschiebung des Antragstellers derzeit rechtswidrig ist. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers folgt die Rechtswidrigkeit der Abschiebung indessen bei summarischer Betrachtung nicht schon daraus, dass ihm ein weiteres Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland zustünde (1), sondern daraus, dass eine für die Abschiebung grundsätzlich zuvor erforderliche Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung hier nicht vorliegt (2).

(1) Weiterhin scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG im Falle des Antragstellers aus. Satz 1 der genannten Vorschrift regelt den Fall, dass ein vorübergehender Aufenthalt angestrebt wird. Dies ist hier nicht der Fall, weil der Antragsteller ersichtlich einen Daueraufenthalt in Deutschland anstrebt und sonstige Gründe, die ihm zumindest ein vorübergehendes Bleiberecht vermitteln könnten, nicht ersichtlich oder vorgetragen sind.

Schließlich kann der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch nicht auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG verlangen. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Diese Voraussetzungen liegen hier ebenfalls nicht vor. Denn die Ausreise in sein Heimatland ist dem Antragsteller weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich.

Für das Vorliegen tatsächlicher Ausreisehindernisse ergeben sich keine Anhaltspunkte, so dass sich insoweit weitere Ausführungen erübrigen.

Der Ausreise des Antragstellers stehen aber auch keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise liegt vor, wenn ihr aus einfachem Gesetzesrecht oder Verfassungsrecht zwingende Gründe entgegenstehen, die dem Ausländer eine Rückkehr in sein Heimatland gänzlich unzumutbar machen. Davon ist hier nicht auszugehen. Insbesondere kann der Antragsteller sich nicht unter Hinweis auf seinen langjährigen Aufenthalt darauf berufen, dass ihm nunmehr schon deshalb eine Rückkehr in sein Heimatland nicht mehr zumutbar sei, mit der Folge, dass der angefochtene Bescheid sich als unverhältnismäßig und daher rechtswidrig erweise. Zwar ist dem Antragsteller zuzustimmen, soweit er argumentiert, zu seinen Gunsten müsse berücksichtigt werden, dass ihm über mehr als acht Jahre hinweg Abschiebungsschutz wegen möglicher politischer Verfolgung in seinem Heimatland gewährt worden sei, wodurch er sich während dieser Zeit legal und berechtigterweise in Deutschland aufgehalten habe. Im Ergebnis verkennt die Argumentation des Antragstellers indessen, dass diesem Gesichtspunkt bereits im Rahmen der Regelungen des § 25 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 26 Abs. 4 AufenthG hinreichend Rechnung getragen worden ist und die Regelungen der §§ 25 Abs. 4 und 5 AufenthG damit nicht als "Auffangtatbestand" herangezogen werden können, wenn der jeweilige Ausländer die erforderlichen Integrationsleistungen nicht erfüllt. Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen ist in diesem Zusammenhang der Gesichtspunkt, dass der Aufenthalt aus humanitären Gründen vom Grundsatz des temporären Schutzes ausgeht (Begründung zu Art. 1 § 26 des Gesetzentwurfes aus Bundestagsdrucksache 15/420, Kloesel/Christ/Häußer, a.a.O. § 26 AufenthG). Demzufolge wollte der Gesetzgeber erkennbar (nur) solchen Ausländern eine Aufenthaltsverfestigung ermöglichen, denen im Laufe ihres legalen Aufenthaltes als Flüchtling eine Integration in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland gelungen ist. Davon kann im Falle des Antragstellers aber gerade nicht ausgegangen werden, da er die in § 26 Abs. 4 i.V.m. § 35 AufenthG aufgeführten Integrationsleistungen nicht erbracht hat.

(2) Steht dem Antragsteller nach alledem ein weiteres Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu, so ist seine zwangsweise Abschiebung dennoch derzeit rechtswidrig, weil eine für die Abschiebung grundsätzlich zuvor erforderliche Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung hier nicht vorliegt. Gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG soll eine Abschiebung schriftlich unter Bestimmung einer Ausreisefrist angedroht werden. Nach Satz 2 dieser Regelung soll zudem in der Androhung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Eine solche Abschiebungsandrohung fehlt hier.

Die Abschiebungsandrohung ist hier bei summarischer Betrachtung auch nicht gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG entbehrlich. Die Verwendung der Formulierung "soll" bedeutet, dass im Normalfall die Abschiebungsandrohung nebst Fristsetzung erforderlich ist und lediglich in atypischen Ausnahmefällen davon abgesehen werden kann. Die Entscheidung über das Absehen von einer Abschiebungsandrohung und/oder Fristsetzung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Antragsgegners und ist regelmäßig - schon um eine rechtliche Kontrolle der getroffenen Entscheidung zu ermöglichen - im Verwaltungsakt selbst unter Angabe der maßgeblichen Erwägungen zu begründen.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass bei einer beabsichtigten Abschiebung aus der Haft heraus grundsätzlich vom Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalles auszugehen wäre und eine Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung deshalb entbehrlich sei. Zwar kann der Ausländer, der sich bereits in Haft befindet, seiner Ausreisepflicht in aller Regel nicht freiwillig nachkommen und deshalb dadurch auch nicht die Abschiebung vermeiden. Mit der Abschiebungsandrohung und Fristsetzung soll dem Ausländer aber nicht nur die Möglichkeit eingeräumt werden, seine Ausreisepflicht freiwillig zu erfüllen. Vielmehr wird damit auch die Einräumung einer Möglichkeit bezweckt, alle Angelegenheiten vor einer Ausreise bzw. Abschiebung zu regeln, weiterhin dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, Rechtsbehelfe einzulegen, und schließlich auch, ihm deutlich zu machen, ab wann mit der eigentlichen Abschiebung zu rechnen ist (vgl. dazu Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Loseblattsammlung, § 59 AufenthG, Rdnr. 23). Diesen weiteren Zwecken dient eine Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung aber auch dann, wenn der Betreffende sich bereits in Haft befindet und insoweit ist eine - je nach den Umständen des Einzelfalles gegebenenfalls auch sehr kurze - Frist weiterhin sinnvoll und in aller Regel auch möglich.