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VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 31.10.2005 - 11 K 1274/05.A - asyl.net: M7850
https://www.asyl.net/rsdb/M7850
Leitsatz:

Wird das Bundesamt durch Urteil verpflichtet, einen Ausländer als Asylberechtigten oder Flüchtling anzuerkennen, entsteht der Anspruch auf Familienasyl oder -abschiebungsschutz erst mit Bestandskraft des Anerkennungsbescheides, nicht schon mit Rechtskraft des Verpflichtungsurteils; dementsprechend beginnt die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zur Stellung eines Folgeantrages durch den Familienangehörigen erst mit Bestandskraft des Anerkennungsbescheides.

 

Schlagwörter: Familienabschiebungsschutz, Folgeantrag, Frist, Drei-Monats-Frist, Flüchtlingsanerkennung, Verpflichtungsurteil, Anerkennungsbescheid, Fristbeginn
Normen: AufenthG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; AsylVfG § 26 Abs. 4; AsylVfG § 26 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

Wird das Bundesamt durch Urteil verpflichtet, einen Ausländer als Asylberechtigten oder Flüchtling anzuerkennen, entsteht der Anspruch auf Familienasyl oder -abschiebungsschutz erst mit Bestandskraft des Anerkennungsbescheides, nicht schon mit Rechtskraft des Verpflichtungsurteils; dementsprechend beginnt die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zur Stellung eines Folgeantrages durch den Familienangehörigen erst mit Bestandskraft des Anerkennungsbescheides.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Bundesamt hat mit dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und die Feststellung von Abschiebungshindernissen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG abgelehnt.

Die Klägerin hat mit ihrem Antrag vom 1.6.2005 eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwVfG geltend gemacht. Nach Abschluss ihres Asylverfahrens ist eine für sie wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage dadurch eingetreten, dass bei ihrem Ehemann Abschiebungshindernisse i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt wurden. Der Klägerin steht damit im hier maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1, Satz 2 AsylVfG) ebenfalls ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG im Wege des Familienasyls nach § 26 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG zu.

Soweit die Beklagte meint, die Klägerin habe diese Änderung der Sach- und Rechtslage nicht innerhalb der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG geltend gemacht, vermag sich das Gericht dieser Auffassung nicht anzuschließen. Die Möglichkeit, einen Anspruch nach § 26 Abs. 4 AsylVfG geltend zu machen, entsteht erst dann, wenn gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG "die Anerkennung des Asylberechtigten (hier des Ehemannes der Klägerin) unanfechtbar ist". Schon der Wortlaut dieser Vorschrift zeigt, dass es damit nicht auf den Zeitpunkt ankommt, in dem das Bundesamt durch rechtskräftiges gerichtliches Urteil zu entsprechenden Feststellungen verpflichtet worden ist, sondern der Anspruch erst entsteht, wenn das Bundesamt entsprechend der gerichtlichen Verpflichtung einen derartigen Bescheid gegenüber dem Stammberechtigten erlässt.

Auch nach Sinn und Zweck des Familienasyls ist eine derartige Auslegung der Vorschrift geboten. Mit der im Jahre 1992 erfolgten Neuregelung des § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG 1992 sollte ausgeschlossen werden, dass Familienangehörige unanfechtbar als Asylberechtigte anerkannt werden, bevor endgültig feststeht, dass das "stammberechtigte" Familienmitglied asylberechtigt ist. Die Neuregelung diente der Vermei-dung von Statusdifferenzen, die nach der bisherigen Rechtslage - § 7 a Abs. 3 AsylVfG i.d.F. der Bekanntmachung vom 9.4.1991 (BGBl I S. 869 - bei dem Ehegatten und den Kindern eines noch nicht bestandskräftig anerkannten Ausländers entstehen konnten, wenn dessen Asylerkennung in der Berufungs- oder Revisionsinstanz aufgehoben wurde (BVerwG, Urteil vom 29. September 1998 - 9 C 31/97 - BVerwGE 107, 231 = DVBl 1999, 175 = AuAS 1999, 19 = NVwZ 1999, 196).

Die Vermeidung derartiger Statusdifferenzen setzt voraus, dass der Stammberechtigte den Status eines Asylberechtigten oder Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AuslG erworben hat, mithin diesem gegenüber ein entsprechender unanfechtbarer Bescheid ergangen ist. Ein rechtskräftiges Verpflichtungsurteil. mit dem die Beklagte zum Erlass eines derartigen Bescheides verpflichtet wird, steht dem nicht gleich. Hiermit erwirbt der Asylbewerber nicht die erstrebte Rechtsstellung, sondern nur einen Vollstreckungstitel. Im Übrigen könnte die Beklagte bei einer nach Rechtskraft eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage, z.B. bei einer nachträglich bekannt gewordenen Auflösung der Ehe, gegen dass Urteil Vollstreckungsabwehrklage erheben und damit den Erlass des statusbegründenden Verwaltungsakt noch verhindern (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.10.1984 - 4 C 53.80 -, BVerwGE 70, 227 = BauR 1985. 176 = DVBl 1985, 392 = Buchholz 406.11 § 10 BBauG Nr. 12).