OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.12.2005 - 1 LB 80/03 - asyl.net: M7853
https://www.asyl.net/rsdb/M7853
Leitsatz:

Unregistrierten staatenlosen Kurden wird die Rückkehr nach Syrien verweigert; verzichtet das Verwaltungsgericht deswegen auf eine Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2–7 AufenthG, muss es die Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung aufheben.

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Staatenlose, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Einreiseverweigerung, Ablehnungsbescheid, Bestandskraft
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; AsylVfG § 34 Abs. 1; AufenthG § 59 Abs. 2
Auszüge:

Unregistrierten staatenlosen Kurden wird die Rückkehr nach Syrien verweigert; verzichtet das Verwaltungsgericht deswegen auf eine Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2–7 AufenthG, muss es die Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung aufheben.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die von der Beklagten in dem angefochten Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung nach Syrien. Insoweit sind das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Ziffer 4 des Bescheids der Beklagten vom 15. Januar 2002 betreffend Syrien als Zielstaat einer Abschiebung aufzuheben. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die Abschiebungsandrohung mit der Zielstaatsbezeichnung Syrien als rechtmäßig bestätigt, ohne sich zu vergewissern, ob hinsichtlich dieses Zielstaates zwingende Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (a. F.) bzw. nach der nunmehr geltenden Vorschrift des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.

Das Verwaltungsgericht hat bereits anlässlich der Entscheidung des Asylbegehrens festgestellt, dass der Kläger als kurdischer Volkszugehöriger zur Gruppe der unregistrierten staatenlosen Personen gehört (was nicht bestritten wird), denen nach (unerlaubtem) Verlassen Syriens die Wiedereinreise verwehrt ist: Sie hätten weder rechtlich noch tatsächlich die Möglichkeit, nach Syrien zurückzukehren. Die Verweigerung der Wiedereinreise sei "definitiv“. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Sie entsprechen dem gegenwärtigen allgemeinen Erkenntnisstand und bringen hinreichend zum Ausdruck, dass die Weigerungshaltung des syrischen Staates gegenüber den nicht registrierten, staatenlosen Kurden "strikt" und auf "unabsehbare Zeit" ist (vgl. BayVGH, Urt. vom 17.09.2003 - Nr. 19 B 00.30900 - n.v., mwN.).

Dem steht nicht die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 24.08.2004 an das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht entgegen, auf die sich die Beklagte zur Stützung ihrer Auffassung beruft, dass im Gegensatz zur Annahme einer willkürlichen Verweigerung der Wiedereinreise ebenso die Annahme einer willkürlichen Erlaubnis der Wiedereinreise nach Syrien nicht ausgeschlossen werden könne. Der dieser Auskunft zugrunde liegende Fall ist mit dem hier streitigen Fall nicht vergleichbar und erlaubt auch keine Rückschlüsse für den hier interessierenden Personenkreis. Nach der vorzitierten Auskunft des Auswärtigen Amtes wurde einem als Ausländer registrierten Kurden 1984 durch syrische Behörden und Anfang 1998 durch die syrische Botschaft jeweils ein Laissez-Passer ausgestellt, letzteres auf Bitten deutscher Behörden zwecks Durchführung einer Abschiebung. Die zweite Ausstellung solcher Reisedokumente ist im Falle registrierter Personen der Auskunft des Auswärtigen Amtes zufolge jedenfalls dann nicht ungewöhnlich, wenn diejenige Person schon einmal ein solches Papier ausgestellt bekommen hatte. Vorliegend geht es indes nicht um registrierte, sondern um unregistrierte, staatenlose Kurden. Zwar hat das Auswärtige Amt in einer früheren Auskunft vom 22.04.1996 an das VG Ansbach noch die Auffassung vertreten, dass für staatenlose Kurden ebenfalls eine(Wieder-) Einreisemöglichkeit nach Syrien bestehe. In den späteren Auskünften, z.B. vom 26.04.2001 an das VG Saarlouis, wird jedoch klar die Auffassung vertreten, dass staatenlosen, aus Syrien stammenden kurdischen Volkszugehörigen, die Syrien illegal verlassen haben, von syrischen Behörden die Wiedereinreise verweigert werde, und zwar - wie es das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Auskunft des Deutschen Orientinstituts vom 01.10.2001 an das VG Saarlouis zutreffend ausgedrückt hat - definitiv.

In dieser Fallkonstellation durfte das Verwaltungsgericht nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juli 2003 (a.a.O.) aus verfahrensökonomischen Gründen ausnahmsweise auf die Prüfung, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (a. F.) vorliegen, verzichten.

Hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (a. F.) aber nicht geprüft, hätte es die Abschiebungsandrohung nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juli 2003 (a. a. O.) aufheben müssen. Das hat es nicht getan; insoweit hat die Klage und die Berufung Erfolg.

Diesem Ergebnis kann die Beklagte nicht entgegenhalten, die im angefochtenen Bescheid enthaltene Feststellung, dass keine Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG (a. F.) vorlägen, sei bestandskräftig, weil Gegenstand des Berufungsverfahren nur noch die Abschiebungsandrohung nach Syrien sei, und vom (bestandkräftig feststehenden) Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen bezüglich Syrien müsse deshalb auch bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ausgegangen werden. Mit dieser Argumentation verkennt die Beklagte zunächst, dass die dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegende Fallkonstellation mit der hier vorliegenden identisch ist: Auch dort ging es nur noch um die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung, die Abweisung der Klage bezüglich des Antrags, das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (a. F.) festzustellen, war ebenfalls rechtskräftig und der Bescheid insoweit bestandskräftig. Ferner verkennt die Beklagte damit den Umfang der Rechtskraftwirkung des Urteils. Wird die Klage abgewiesen, so müssen die Entscheidungsgründe stets zur Bestimmung des materiellen Umfangs der Rechtskraftwirkung des Urteils herangezogen werden, da die Urteilsformel hierzu allein nichts aussagt (vgl. Redeker/von Ortzen, Kommentar zur VwGO, 13. Auflage, § 121 Rd-Nr. 8). Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht - wie dargelegt - die Prüfung, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (a. F.) vorliegen nicht vorgenommen, diesen Antrag als vielmehr "gegenstandslos" betrachtet und behandelt hat. Deshalb kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass aufgrund der Abweisung der Klage feststehe, dass ihre Entscheidung im angefochtenen Bescheid, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (a. F.) gegeben seien, - gerichtlich festgestellt - rechtmäßig sei.