VG Lüneburg

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VG Lüneburg, Urteil vom 08.02.2006 - 1 A 75/03 - asyl.net: M7873
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Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für vietnamesischen Staatsangehörigen wegen buddhistischen Glaubens.

 

Schlagwörter: Vietnam, Folgeantrag, Änderung der Rechtslage, Zuwanderungsgesetz, Anerkennungsrichtlinie, Flüchtlingsbegriff, Genfer Flüchtlingskonvention, exilpolitische Betätigung, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, objektive Nachfluchtgründe, politische Entwicklung, religiös motivierte Verfolgung, Buddhisten, Christen, Non-Refoulement, Oppositionelle, unerlaubtes Verbleiben im Ausland, Antragstellung als Asylgrund, Vereinigte Buddhistische Kirche Vietnams, VBKV, Hoa-Hao-Religion, Situation bei Rückkehr, Administrativhaft, politische Überzeugung, Rückführungsabkommen, Zusicherung, Völkerrecht, religiöses Existenzminimum
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 5; RL 2004/83/EG Art. 10; GFK Art. 33 Abs. 1; EMRK Art. 3; vietStGB Art. 81c; vietStGB Art. 199
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für vietnamesischen Staatsangehörigen wegen buddhistischen Glaubens.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist insoweit begründet, als es dem Kläger gemäß seinem Antrag um die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 1 AufenthG geht.

2. Soweit im Bescheid die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG angesprochen worden sind, ist es so, dass eine Änderung der Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) im Hinblick auf das ab dem 1.1.2005 geltende Zuwanderungsgesetz mit § 60 Abs. 1 AufenthG iVm der Genfer Flüchtlingskonvention v. 28.7.1951 (BGBl. 1953 II, S. 559), aber auch hinsichtlich der Richtlinie 2004/83/ EG des Jahres 2004 gegeben ist. Daneben rechtfertigen die Belege für eine Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Lage in Vietnam (Sachlage iSv § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), die Unterdrückung der Religions- und Meinungsfreiheit einschließlich der dort gehandhabten "Willkür" und der unsystematischen Verhaftungen eine Befassung mit dem Folgeantrag.

4. Dem Kläger droht bei einer Rückführung nach Vietnam prognostisch für den Zeitpunkt Februar 2006 eine asylerhebliche Beeinträchtigung oder Schädigung iSv § 60 Abs. 1 AufenthG.

4.1 § 60 Abs. 1 AufenthG hat das Verhältnis zur Asylanerkennung (Art. 16 a GG) tiefgreifend verändert (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, 1. Teil Kap. 5 III 3, § 60 AufenthG, Rdn. 12). Mit § 60 Abs. 1 AufenthG hat sich unter dem Eindruck der Richtlinie 2004/ 83/EG v. 30.9. 2004 - L 304/12 - ein Perspektivwechsel zu einer prognostischen Opferbetrachtung vollzogen (vgl. dazu VG Stuttgart, Urteil v. 17.1.2005 - A 10 K 10587/04 - m.w.N.; Urteil der Kammer v. 7.9. 2005 - 1 A 240/02 -).

Da inzwischen die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 in Kraft getreten ist, sind auch deren Standards im Wege der Auslegung des § 60 AufenthG jedenfalls richterlich - ohne dass Kläger das beanspruchen könnte - schon beachtlich (vgl. auch EuGH, Urt. v. 9.3.2004 - C 397/01 - Pfeiffer, Rn. 101 ff), u.zw. auch angesichts des Art. 38 Abs. 1 d. Richtlinie (vgl. VGH Baden-Württ., Beschl. v. 12.5.2005 - A 3 S 358/05 - , InfAuslR 2005, S. 296 m.w.N; VG Braunschweig Urt. v. 8.2.2005 - 6 A 541/04 -; VG Stuttgart InfAuslR 2005, 345.; VG Karlsruhe, Urt. v. 14.3. 2005 - A 2 K 10264/03 -; VG Köln Urt. v. 10.6.2005 - 18 K 4074/04.A -; BGH, NJW 1998, 2208).

4.2 Ein Überwiegen der für eine Verfolgungsfurcht des Klägers sprechenden Umstände ist hier deshalb anzunehmen, weil der Kläger zum einen gläubiger Anhänger des Buddhismus ist und er sich zum andern exilpolitisch betätigt hat, als solcher aber aufgrund seiner Gesinnung und der gewandelten Verhältnisse in Vietnam im Falle einer Rückkehr im Jahre 2006 ernsthaft bedroht ist.

4.2.1 Ausgangspunkt dabei ist, dass eine Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 1 AsylVfG (vgl. dazu Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. § 28 Rdn. 7 u. 8 m.w.N.) dazu führt, dass die Sicherheit u.a. vor einer Abschiebung - § 51 Abs. 1 AuslG bzw. jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG - von dieser Vorschrift überhaupt nicht erfasst, vielmehr von ihr ausschließlich der Asylstatus, nicht aber der Flüchtlingsstatus berührt wird.

4.2.2 Erst durch § 28 Abs. 2 AsylVfG und allein im Folgeverfahren wird - zeitlich begrenzt ("nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung" des Erstantrages) - der Flüchtlingsstatus mit einer im Absatz 2 neu eingeführten Regel berührt.

Die Erstreckung der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 74, 51) entwickelten Grundsätze zum Asylstatus, welcher durch eine retrospektive Kausalität von Verfolgung und Flucht gekennzeichnet ist, auch auf den Flüchtlingsstatus, bei dem diese Kausalität fehlt, ist so ohne weiteres nicht möglich, weil "Nachfluchtgründe" auf eine prognostisch erst noch zu bewertende Bedrohung grundsätzlich nicht passen - mögen sie subjektiver oder objektiver Art sein. Daher ist die Unterscheidung im Flüchtlingsrecht - anders als im Asylrecht - ein Fremdkörper:

"Die Anerkennung von objektiven wie subjektiven Nachfluchtgründen wird daher folgerichtig zum Mindestbestand des Schutzes nach der GK u. gleichzeitig auch des subsidiären Schutzstatus gezählt..." - Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, GG 3, Rdn. 139 -

4.2.3 Der Bezug des § 28 Abs. 2 AsylVfG zu dessen Absatz 1 (vgl. oben 4.2.1) macht allerdings deutlich, dass nach dem Gesetz subjektive Nachfluchtgründe in der Regel ausgeschlossen sein sollen (Ausnahme: BVerwGE 90, 127) u.zw. - in Anlehnung an den Asylstatus und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu - vor allem solche, die nicht bereits "einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung" entsprechen.

Da es einen objektiven Nachfluchttatbestand darstellt, wenn sich die politische Einstellung des Heimatstaates gegenüber regimekritischen Organisationen bzw. Betätigungen verändert (Renner, aaO., § 28 Rdn. 10 u. GG 3, Rdn. 54; BVerwG, EZAR 206 Nr. 4) und somit im Heimatstaat prognoserelevant veränderte Verhältnisse herrschen, ist es dem Kläger hier nicht verwehrt, sich auf die in den letzten Jahren feststellbaren Verschärfungen in Vietnam, vor allem auf die massive Verfolgung von Religionsanhängern dort - Christen wie Buddhisten -, zu berufen. Auf derartige Ereignisse (Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG) hat der Kläger keinen Einfluss. Ihre Veränderung kann nach der Gesetzeslage zur Anerkennung führen - gerade auch mit Blick auf § 28 Abs. 1 AsylVfG.

Im Übrigen ergreift der Regelausschluss (allein) rein subjektiver Nachfluchtgründe nicht auch unveränderliche persönliche Merkmale - z.B. ethnische oder körperliche Merkmale (Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 28 AsylVfG Rdn. 9). Vor allem die religiöse Überzeugung ist rechtlich ein objektiver Nachfluchttatbestand (Marx, Kommentar zum AsylVfG, 3. Aufl., § 28, Rdn. 15) - jedenfalls solange sie inhaltliche Kontinuität aufweist (BVerfG, InfAuslR 1990, 197). Der Kläger buddhistischen Glaubens ist also nicht mit seinem Vortrag etwa ausgeschlossen.

4.2.4 Das gilt angesichts der gen. Richtlinie 2004/83/EG mit ihrer grundsätzlichen Anerkennung von Nachfluchtgründen objektiver wie auch subjektiver Art, die allesamt einen "Bedarf an internationalem Schutz" hervorrufen (Art. 5), in ganz besonderem Maße, so dass geänderte Einstellungen und Verschärfungen im Herkunftsland bei § 28 AsylVfG als objektiver Nachfluchttatbestand beachtlich und iSv § 60 Abs. 1 AufenthG bedrohungsrelevant sind.

Die Richtlinie ist im vorliegenden Bedeutungszusammenhang gesetzessystematisch und rechtsmethodisch auch heranzuziehen, wobei die vom OVG Münster (Urt. v. 12.7.2005 - 8 A 780/04.A -, Asylmagazin 10/2005, S. 26/27) angenommene Eindeutigkeit des § 28 Abs. 2 AsylVfG mit seinem Bezug zu Abs. 1 und dem dort geregelten Asylstatus nur solange besteht, wie die völkerrechtlich Rechtsbindungen ausgeblendet werden und die Vorschrift nur "für sich genommen" betrachtet wird. Diese Bindungen sind jedoch nach dem gesamten Regelungszusammenhang einzubeziehen und zu beachten (Renner, aaO, GG 3 Rdn. 138). Der Ausschluss konventionsrechtlichen Schutzes ist daher nicht zulässig, weil die GFK "umfassenden Schutz gewährt" (Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 6. Auflage 2005, § 28 Rdn. 131), u.zw. auch im Sinne einer Verfestigung (Marx, aaO., Rdn. 133). Ein möglicher Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie ist mithin stets zu bedenken (Marx, Rdn. 134 und 136).

Der Gesetz- wie auch Richtliniengeber hat sich ausdrücklich zu den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention bekannt (§ 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG, Erwägungsgründe (3) der Richtlinie; Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG: "Unbeschadet der GFK") und damit im Falle subjektiver Nachfluchtgründe - bei objektiven ohnehin - deutlich einen "Schutzbedarf" anerkannt.

4.2.5 Da der Richter an einzelne Gesetze nur als Teil des gesamten Rechts gebunden ist, er nur den im gesetzlichen Zusammenhang zweifelsfrei zum Ausdruck gelangten Gesetzeszweck mit seinen Grundgedanken zu respektieren hat (so schon Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, § 51 II 4a; Betti, Allgemeine Auslegungslehre, S. 600 ff.), kann hier nicht daran vorbeigegangen werden, dass mit § 60 Abs. 1 AufenthG und der gen. Richtlinie zugleich auch ganz ausdrücklich und sehr bewusst die Genfer Flüchtlingskonvention v. 28.7.1951 als "Leitlinie" anerkannt und in den Gesetzeszusammenhang aufgenommen worden ist.

4.2.6 Dieser gesetzgeberisch ausdrücklich anerkannte Schutzbedarf modifiziert das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 28 Abs. 2 AsylVfG erheblich: Der neu eingefügte § 28 Abs. 2 AsylVfG ist nicht nur im Hinblick auf die Richtlinie 2004/83/EG v. 29.4.2004 (Amtsblatt der EU L 304/12) und den dort anerkannten Schutzbedarf bei Nachfluchtgründen (Art. 5) äußerst einschränkend auszulegen (vgl. dazu die Rechtsprechung der Kammer, z.B. Urteile v. 22.9.2005 - 1 A 32/02 -, v. 29.6.2005 - 1 A 212/02 - und v. 6.7.2005 - 1 A 4/02 - sowie v. 17.8.2005 - 1 A 233/02 -), sondern auch deshalb, weil er andernfalls mit dem Refoulementverbot des Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28.7. 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) und mit dem - dieses Verbot sowie jenes aus Art. 3 EMRK umsetzenden - Sinngehalt des § 60 Abs. 1 AufenthG erheblich kollidierte.

Zur Vermeidung völkerrechtswidriger, gemeinschaftsrechtlich unzulässiger und auch erfassungswidriger Folgen ist der Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG daher nicht zu folgen:

"Sollte also § 28 II AsylVfG bewirken, dass § 60 I AufenthG einer Abschiebung nicht entgegensteht, obwohl Art. 33 I GFK entgegensteht, widerspräche sich das Zuwanderungsgesetz selbst, da es § 60 I AufenthG und § 28 II AsylVfG gleichzeitig in Kraft gesetzt hat. Dieser Widerspruch lässt sich dadurch ausräumen, dass bei einem Verstoß gegen Art. 33 I GFK eine Ausnahme von der Regel des § 28 II AsylVfG gemacht wird. Dadurch wird zwar die Ausnahme zur Regel, denn der Anwendungsbereich des § 28 II AsylVfG bleibt auf etwaige Fälle beschränkt, in denen der Abschiebungsschutz des § 60 I AufenthG über Art. 33 I GFK hinausgeht. Das dürfte aber nicht schwer wiegen, denn § 28 II AsylVfG könnte ohnehin kaum die Erwartung des Gesetzgebers erfüllen, dass der "bislang bestehende Anreiz" entfällt, durch Folgeverfahren mit neu geschaffenen Nachfluchtgründen zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen (BTDrucks.15/538 a.a.O.). Auch bei Gefahren i.S. des § 60 II, 3, 5 oder 7 AufenthG, die nicht unter Art. 33 I GFK fallen, soll nämlich eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, die schließlich zur Niederlassungserlaubnis führen kann (§§ 25 III S. 1, 26 IV AufenthG)" (so VG Stuttgart, Urt. v. 18.4.2005 - A 11 K 12040/03 - , InfAuslR 2005, S. 345).

Unter solchen Umständen kann bei Einbeziehung der gesetzgeberischen Ziele, Zwecke und Intentionen - u.a. der Anerkennung eines Refoulementverbots (Art. 33 GFK) - nicht mehr nur von einer bloßen "Rückausnahme" (OVG Münster, Urt. v. 12.7. 2005 - 8 A 780/04.A -) ausgegangen werden. Denn diese ließe - bei engem Verständnis - die grundlegenden Gesetzesziele und -zwecke, die der Gesetzgeber offenkundig verfolgt, leer laufen. Das hat der völkerrechtlich gebundene Gesetzgeber nicht gewollt.

4.2.7 Somit ist § 28 Abs. 2 AsylVfG im Gesamtzusammenhang des Normengefüges (Art. 16 a Abs. 1 GG, Art. 3 EMRK, Art. 33 GFK, Richtlinie 2004/83/EG, § 60 AufenthG) richterlich nur als äußerst eng zu interpretierende Ausnahme anwendbar.

§ 28 Abs. 2 AsylVfG vermag somit die Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG nur noch ganz ausnahmsweise, nämlich dann zu sperren, wenn ausnahmslos rein subjektive Nachfluchtgründe geltend gemacht werden. In allen anderen Fällen, vornehmlich dann, wenn subjektive und objektive Nachfluchtgründe nur miteinander verwoben sind, besteht ein "Bedarf an internationalem Schutz" gem. Art. 5 Abs. 2 Richtlinie 2004/83/EG. Demzufolge ist auch die in § 28 Abs. 2 AsylVfG enthaltene Regel eng auszulegen und jede von ihr abweichende Ausnahme - gemäß dem grundsätzlichen Schutzbedarf - großzügig und weit.

§ 28 Abs. 2 AsylVfG findet daher bei zahlreichen Konstellationen keine Anwendung (vgl. etwa Marx, Kommentar zum AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 28 Rdn. 120 f.) - u.a. jener, dass sich ein enger Zusammenhang mit den im Erstverfahren geprüften Gründen ergibt oder zunächst als unerheblich bewertete Gründe nunmehr als entscheidungserheblich erscheinen. Auch dann, wenn unbeachtliche Gründe "in einem anderen Licht" erscheinen, findet § 28 Abs. 2 AsylVfG keine Anwendung (Marx, aaO., Rdn. 121).

Somit können im Rahmen des § 28 AsylVfG auch subjektive Nachfluchtgründe aller Art zur Anerkennung führen. Das gilt ganz besonders und vor allem dann, wenn sie auf eine schon im Herkunftsland erkennbar betätigte Überzeugung (Abs. 1) oder aber (mit Blick auf einen Folgeantrag iSv Art. 5 Abs. 3 Richtlinie bzw. § 28 Abs. 2 AsylVfG) auf Umstände zurückgehen, die schon vor der Rücknahme oder unanfechtbaren Ablehnung des früheren Antrags entstanden sind. Bei Verhaltensweisen, die bei wertender Betrachtung typischerweise nicht von dem Zweck erfasst werden, der die Unerheblichkeit des Nachfluchtverhaltens begründet (etwa bei Wahl des Ehepartners mit anschließender christlicher Erziehung, BVerwGE 90, 127/131), kommt auch bei subjektiven Nachfluchtgründen eine Anerkennung stets in Betracht.

Verfolgungsmaßnahmen könnten dem Kläger bei dieser Lage der Dinge in hohem Maße deshalb drohen, weil er buddhistischen Glaubens ist (vgl. Niederschr. v. 4.12.1990, Protokoll v. 8.2.2006).

Die lokalen Behörden in Vietnam empfinden die Tendenzen religiöser Orientierung in Nord-, Nordwest- und Mittelvietnam "als bedrohlich und reagieren darauf mit Medienkampagnen, Einschüchterung und teilweise sogar mit Verhaftungen" (so schon Lagebericht des AA v. Mai 2001, S. 6).

Die Bedrohungslage ergibt sich dabei auch aus Strafvorschriften, die Aktivitäten von Religionsgemeinschaften stark beschränken (Art. 81 c vietn StGB - Verbreitung von Zwietracht - und Art. 199 vietn-StGB - Betreiben abergläubischer Praktiken -). Sämtliche kirchlichen Aktivitäten unterliegen einer Registrierungspflicht und bedürfen einer gesonderten Genehmigung (AA an VG Darmstadt v. 18.2.2002). Neuerdings ist zudem ein neuer "Religionserlass" in Kraft getreten, der als "Festschreibung der staatlichen Kontrolle über alle Aspekte des religiösen Lebens" verstanden und kritisiert wird (ai-Jahresbericht 2005, S. 358).

Nach Pressemitteilungen der IGFM sind im Laufe des Jahres 2001 alle bedeutenden Persönlichkeiten der buddhistischen, evangelischen und der katholischen Religionsgemeinschaften sowie der Hoa-Hao-Religion in Vietnam - ohne Gerichtsverfahren - inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt worden. Versammlungen von Religionsgemeinschaften seien von der Volkspolizei und der Armee "brutal aufgelöst" worden. Aus Protest gegen die religiöse Unterdrückung haben sich im Jahre 2001 zwei Buddhisten selbst verbrannt.

"Besonders rigide war das Vorgehen der Behörden gegen Gläubige der verbotenen Vereinigten Buddhistischen Kirche Vietnams (VBKV), deren führende Vertreter nach wie vor unter Hausarrest standen" - so ai-Jahresbericht 2005, S. 358.

Da der Kläger gläubiger Buddhist der VBKV ist und regelmäßig die Pagode in Hamburg besucht hat (Protokoll v. 8.2.06, S. 3 oben), also einem Glauben anhängt, der von der kommunistischen Führung in Vietnam ebenso wenig toleriert wird wie jeder andere Glaube, ist er in besonderem Maße bedroht. Das kommunistische Regime betrachtet nämlich Gläubige, besonders strenggläubige Anhänger einer Religion, als Abtrünnige des vietnamesischen Staates. Hierbei verbietet sich eine Unterscheidung nach öffentlichem und privatem Bereich religiöser Betätigung, weil ein öffentlicher Bereich in der Richtlinie 2004/83/EG nicht mehr gesondert genannt wird (vgl. VGH Baden-Württ. InfAuslR 2005, S. 296/S. 298).

Der Kläger dürfte im Hinblick auf seinen buddhistischen Glauben und seine AsylantragsteIlung somit als Andersdenkender, als "Abtrünniger" angesehen werden, falls er nach Vietnam zurückzukehren hätte (vgl. insoweit auch VG Meiningen, B. v. 18.6.2002 - 2 E 20341/02.Me -).