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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2006 - 13 S 2284/05 - asyl.net: M7908
https://www.asyl.net/rsdb/M7908
Leitsatz:

Ausweisung nach § 54 Nr. 5 a AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer selbst eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

 

Schlagwörter: Berufungszulassung, ernstliche Zweifel, Ausweisung, Nachschieben von Gründen, Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Rechtsgrundlage, Vereinsverbot, Terrorismus, Beweiswürdigung, Abwendung von sicherheitsgefährdenden Bestrebungen, Sicherheitsbefragung, Falschangaben, besonderer Ausweisungsschutz, Schutz von Ehe und Familie
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; AufenthG § 54 Nr. 5; AufenthG § 54 Nr. 5a; AufenthG § 54 Nr. 6; AufenthG § 56 Abs. 1 Nr. 4; GG Art. 6; EMRK Art. 8
Auszüge:

Ausweisung nach § 54 Nr. 5 a AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer selbst eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

§ 54 Nr. 5 a AufenthG sieht in der hier allein in Betracht kommenden Fallgestaltung die Ausweisung eines Ausländers vor, der die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.

Soweit die Beklagte im Zulassungsantrag in diesem Zusammenhang auf die von ihr angenommene Nähe der HuT zu terroristischen Aktivitäten bzw. unmittelbar auf eine Unterstützung solcher Aktivitäten durch die HuT abstellt, handelt es sich um Ausführungen, die der im vorliegenden Fall gerade nicht behördlich zugrunde gelegten Ermächtigungsnorm des § 54 Nr. 5 AufenthG zuzuordnen sind; diese Norm regelt speziell die Ausweisung solcher Ausländer, bei denen Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass sie einer Vereinigung angehört haben, die den Terrorismus unterstützt, oder dass sie eine derartige Vereinigung unterstützt haben. Im vorliegenden Fall geht es dagegen um die Frage, ob der Kläger im Sinne des § 54 Nr. 5 a AufenthG "die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet". Schon die Unterschiedlichkeit beider Ermächtigungsgrundlagen verlangt entsprechende Zurückhaltung bei der Übertragung von Grundsätzen, die die Rechtsprechung für jeweils nur eine der beiden Ermächtigungsnormen entwickelt hat (zu § 54 Nr. 5 AufenthG siehe BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091, und BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 Cs 05.2621 - juris).

Im vorliegenden Fall liegt die Eingriffsschwelle höher, da § 54 Nr. 5 AufenthG die Eingriffsvoraussetzungen gegenüber der hier einschlägigen Vorschrift des § 54 Nr. 5 a AufenthG erweitert (BVerwG, a.a.O., RdNrn. 27 und 29 der Entscheidung). Die letztere Vorschrift verlangt jedenfalls eine entsprechende (eigene) Gefährdung; in den Worten des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O. Rdnr. 17) muss "der Ausländer persönlich eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen", der vereinsrechtliche Verbotsgrund muss sich "in der Person des Ausländers konkretisiert haben" (BVerwG a.a.O., s. auch BVerwG, Urteil vom 31. Mai 1994 - 1 C 5.93 -, BVerwGE 96, 86, 91 f.).

Damit greift die Beklagte der Sache nach die Würdigung der Klägeraussagen durch das Verwaltungsgericht an. Für diese gilt § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung entscheidet, und zwar auch dann, wenn es nicht um eine Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn, sondern (nur) um die Würdigung des Klägervortrags als solchen geht (s. Kopp/Schenke, VwGO, 2005, RdNr. 4 zu § 108). Eine Verletzung dieses Grundsatzes stellt einen Verfahrensfehler dar (s. Kopp/Schenke a.a.O. und BVerwG, Beschluss vom 10. 11.2004 - 6 BN 3/04 -, NVwZ-RR 2005, 626, 628), der hier allerdings als Zulassungsgrund nicht geltend gemacht worden ist (s. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Als Zulassungsgrund im Sinn des hier ausdrücklich gerügten § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel) kommen Beweiswürdigungsfehler nur dann in Betracht, wenn das Erstgericht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist - z.B. eine Aussage zugrunde gelegt hat, die so nicht gemacht worden ist, oder wenn seine Würdigung der Aussagen so fragwürdig ist, dass eine erneute Beweisaufnahme oder Würdigung durch das Berufungsgericht geboten erscheint (s. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.3.2004 - 11 LA 380103 -, NVwZ 2004, 1381 und OVG Saar, Beschluss vom 9.9.2004 1 Q 53.04 - juris, m.w.N.).

Für die Frage, ob der Kläger persönlich frühere sicherheitsgefährdende Aktivitäten und Einstellungen weiterverfolgt, kann im übrigen im Rahmen der Würdigung, ob eine ausreichende Distanzierung vorliegt (s. dazu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7.5.2003 - 1 S 254/03 -, VBlBW 2003, 477), auch die Rechtsprechung zum Begriff der "Abwendung" von früheren sicherheitsgefährdenden Aktivitäten und Organisationen (siehe § 11 Abs. 1 Nr. 2 StAG) herangezogen werden. Eine solche "Abwendung" verlangt über das bloße Unterlassen früherer Unterstützungshandlungen hinaus einen inneren Vorgang, der nachvollziehbar werden lässt, dass die früheren Gründe für Unterstützungshandlungen so nachhaltig entfallen sind, dass neue Unterstützungshandlungen auszuschließen sind. Die Glaubhaftmachung einer solchen Abwendung erfordert die Vermittlung einer entsprechenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit, und auch die Dauer der verstrichenen Zeit nach der letzten Unterstützungshandlung ist zu berücksichtigen (im einzelnen siehe dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.12.2004 - 13 S 1276/04 - InfAuslR 2005, 64; Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - juris).

Auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, § 54 Nr. 6 AufenthG rechtfertige die Ausweisung des Klägers nicht, werden von der Beklagten im Ergebnis nicht im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entscheidend in Frage gestellt.

Auch der Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG führt wegen des hier vorliegenden besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nämlich lediglich zur Möglichkeit der Ermessensausweisung, und der Senat hat bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darauf hingewiesen, es spreche vieles dafür, dass dieser Ausweisungstatbestand im konkreten Fall von seinem Gewicht her wohl nicht in der Lage sei, im Rahmen der Ermessensausübung die für den Kläger sprechenden Gesichtspunkte, insbesondere die Familienschutzvorschriften des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK, zu überwinden. Ein entsprechend geschützter Ausländer wie der Kläger kann "nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen" werden (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), und unter den im Gesetz genannten Regelfällen solcher schwerwiegender Gründe (§ 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) ist die hier in Betracht kommende Vorschrift des § 54 Nr. 6 AufenthG gerade nicht enthalten. Wenn dies in atypischen Fallkonstellationen auch überwindbar ist (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.6.2001 - 13 S 2326/99 -, VBlBW 2002, 34), folgt hieraus doch, dass der Gesetzgeber die Berücksichtigung einer Verletzung der in der genannten Vorschrift enthaltenen Mitteilungspflichten in den Fällen besonderen Ausweisungsschutzes nur eingeschränkt zulässt. Der Zulassungsantrag führt hierzu nichts aus. Da die Widerspruchsbehörde die Ermessensausweisung gleichrangig auf den nach Auffassung des Senats hier nicht gegebenen Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 a AufenthG einerseits und den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG andererseits geschützt hat, ist diese Ermessensausübung nicht ausreichend tragfähig. Zudem ist zwischenzeitlich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Gewicht familiärer Bindungen in ausländerrechtlichen Fällen noch verstärkt worden (siehe BVerfG, Beschluss vom 08.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris).