LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.12.2005 - L 20 (9) B 37/05 SO - asyl.net: M7914
https://www.asyl.net/rsdb/M7914
Leitsatz:

Die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG genügen grundsätzlich für eine ausreichende Existenzsicherung, so dass für einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auf Leistungen nach § 2 AsylbLG regelmäßig kein Anordnungsgrund vorliegt.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Eilbedürftigkeit, Existenzminimum
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1; AsylbLG § 3; RL 2003/9/EG Art. 13
Auszüge:

Die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG genügen grundsätzlich für eine ausreichende Existenzsicherung, so dass für einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auf Leistungen nach § 2 AsylbLG regelmäßig kein Anordnungsgrund vorliegt.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Sozialgericht hat zu Recht die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung i.S.v. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verneint und die Antragsteller auf eine Klärung im Hauptsacheverfahren verwiesen.

§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG bestimmt, dass einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig sind, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Bei der Beurteilung, ob ein solcher wesentlicher Nachteil und damit ein sog. Anordnungsgrund vorliegt, ist entscheidend, ob es nach den Umständen des Einzelfalles für die Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, wobei es auf eine Interessenabwägung ankommt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rz. 28). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und die auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht. In die Interessenabwägung einzubeziehende Gesichtspunkte sind dabei etwa die Intensität der drohenden Verletzung von Grundrechten, wirtschaftliche Verhältnisse, das Entstehen einer unbilligen Härte oder entgegenstehende überwiegende bzw. besonders gewichtige Gründe (Keller a.a.O. Rz. 29a m.w.N.). Dabei darf eine einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen, was regelmäßig der Fall ist, wenn die einstweilig angeordnet Maßnahme nachträglich für die Vergangenheit nicht mehr korrigierbar ist. Bei Sozialleistungen ist letzteres in der Regel dann der Fall, wenn eine Rückforderung ausgeschlossen ist. Nur wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar ist und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre, kann im Interesse der Effektivität gerichtlichen Schutzes ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlich sein (Keller a.a.O. Rz. 31).

Im Fall der Antragsteller bedeutet dies, dass kein Anordnungsgrund besteht, der ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zuließe.

Die tatsächliche Abklärung der Frage, ob die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthalts i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben, ist im Blick auf mögliche Ausreisehindernisse schwierig und deshalb durch summarische Prüfung im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht erreichbar. So ist nicht ohne weitere Ermittlungen beurteilbar, ob der Antragsteller zu 1) tatsächlich aus medizinischen Gründen nicht ausreisen kann bzw. in seiner Heimat medizinisch nur unzumutbar versorgt wäre. Auch ist nicht ohne intensive Ermittlungen beurteilbar, ob derzeit eine Rückkehr von Mitgliedern der Volksgruppe der Antragsteller in den Kosovo Gefahren für Leib und Leben mit sich brächten.

Höhere Leistungen nach § 2 Abs. 1, 3 AsylbLG aufgrund einstweiliger Anordnung wären bei lebensnaher Betrachtung nicht wieder rückholbar, sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass ein Anspruch auf diese höheren Leistungen gar nicht bestand. Aus diesem Grund würde ein Erfolg der Antragsteller die Hauptsache faktisch vorwegnehmen.

Eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre jedoch nicht etwa ausnahmsweise notwendig, weil die von den Antragstellern verfolgten Interessen an der Gewährung der höheren Leistungen so überragend wären, dass ein Abwarten der Hauptsache schlechthin unzumutbar wäre. Dies gilt unabhängig davon, ob man diese Interessen vornehmlich unter dem Gesichtspunkt einer menschenwürdigen wirtschaftlichen Versorgung, einer besseren Integration oder unter sonstigen Aspekten betrachtet.

Denn die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG stellen schon nach der gesetzlichen Wertung jedenfalls eine ausreichende Existenzsicherung dar. Dem kann nicht etwa entgegen gehalten werden, auch die Sozialhilfe nach dem SGB XII sichere allein einen nicht unterschreitbaren Grundbedarf. Das Bundesverfassungsgericht hat die um einen Abschlag gekürzte Gewährung von an sich auf Sozialhilfeniveau zu gewährenden Leistungen nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Unterhaltssicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes als zulässig angesehen (Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 zu II. 1.c. aa. 1); nichts anderes kann dann für das einstweilige Verbleiben auf niedrigerem Niveau anstelle der Voll-Beträge nach dem SGB XII gelten (s. auch Beschluss des Senats vom 09.12.2005, Az.: L 20 (9) B 10/05 AY ER; LSG NRW, Beschluss vom 23.09.2005 - L 9 B 8/05 AY ER). Die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG haben schließlich auch in einer Vielzahl von Fällen (und in der Vergangenheit u.a. in der Zeit von Mai 2001 bis heute auch für die Antragsteller) auch praktisch als geeignet erwiesen, die notwendige Existenzsicherung für Asylbewerber zur Verfügung zu stellen. Die Leistungen halten sich im Übrigen auch im Rahmen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003 (AmtsBl. EU L 31/18, 06.02.2003), die in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 den Mitgliedstaaten die Sicherung eines Lebensstandards der Asylbewerber aufgibt, der die Gesundheit und den Lebensunterhalt gewährleistet. Nach Art. 13 Abs. 5 können die materiellen Aufnahmebedingungen z.B. in Form von Sachleistungen, Geldleistungen oder Gutscheinen oder einer Kombination dieser Leistungen gewährt werden.