VG Frankfurt a.M.

Merkliste
Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 02.12.2005 - 1 G 4340/05 - asyl.net: M7940
https://www.asyl.net/rsdb/M7940
Leitsatz:
Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, Studium, Studienvorbereitung, Ausnahmefall, Krankheit, psychische Erkrankung, Depression, Allgemeinmediziner, Attest
Normen: AufenthG § 81 Abs. 4; AufenthG § 16 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Studienbewerbung und des Studiums an einer Staatlichen Hochschule steht gemäß § 16 Abs. 1 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde. Dies gilt auch für die Verlängerung einer bereits erteilten Aufenthaltserlaubnis zu diesem Zweck (§ 8 Abs. 1 AufenthG). Das Ermessen der Antragsgegnerin ist allerdings durch die Vorgaben des § 16 Abs. 1 S. 2 AufenthG insoweit gebunden, als die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis bei studienvorbereitenden Maßnahmen 2 Jahre nicht überschreiten soll. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis über diese Regelfrist hinaus setzt deshalb das Vorliegen eines atypischen Sachverhalts voraus. Ein solcher atypischer Sachverhalt kann sich daraus ergeben, dass die Studienvorbereitung krankheitsbedingt nicht innerhalb von 2 Jahren abgeschlossen werden konnte (vgl. VG Stuttgart, Beschl. v. 21.02.2005 - 4 K 40/05 -, AuAS 2005, 86). Liegen solche atypischen Sachverhalte vor, so führt das allerdings nicht zu einer strikten Bindung der Beklagten in dem Sinne, dass die verpflichtet ist, die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Vielmehr ist ihr erst dann ein Ermessensspielraum eröffnet.

Im vorliegenden Fall geht die Antragsgegnerin ausweislich der Gründe des angefochtenen Bescheides offensichtlich davon aus, dass ihr ein solcher Ermessensspielraum nicht eröffnet ist, weil ein atypischer Sachverhalt im Sinne des § 16 Abs. 1 S. 2 AufenthG nicht vorliege. Insoweit läßt sie den Vortrag des Antragstellers, er sei zum Zeitpunkt des ersten Prüfungsversuchs im Januar 2005 psychisch erkrankt und medikamentös behandelt worden, was seine Leistungsfähigkeit während der Prüfung beeinträchtigt habe, nicht gelten. Vielmehr wertet sie dieses Vorbringen als eine Schutzbehauptung. Dies folgert sie daraus, dass der Antragsteller nicht schon unmittelbar nach dem mißlungenen Prüfungsversuch auf diese Umstände hingewiesen habe. Aus der Tatsache, dass der Antragsteller es unterlassen hat, auf den gescheiterten Prüfungsversuch und die Gründe hierfür zeitnah hinzuweisen, folgt jedoch logisch nicht, dass er nicht krank gewesen ist. Es handelt sich insofern allenfalls um ein Indiz. Dieses Indiz wird jedoch durch die ärztliche Bescheinigung entwertet, die der Antragsteller vorgelegt hat.

Die ärztliche Bescheinigung könnte das Indiz des späten Vortrags nur dann unberührt lassen, wenn sie unglaubhaft wäre. Die Antragsgegnerin behauptet jedoch nicht, dass es sich insoweit um ein Gefälligkeitsattest handelt, dem jede reale Grundlage fehlt. Sie unterläßt es auch, etwaigen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit des Attestes nachzugehen. Dies wäre ihr ohne weiteres möglich gewesen, da die Antragsgegnerin sich die einschlägigen Rezepte beispielsweise hätte vorlegen lassen können, die den Bezug der entsprechenden Psychopharmaka belegen. Statt dessen will die Antragsgegnerin das ärztliche Attest damit entwerten, dass sie dem Antragsteller vorwirft, er habe keinen Facharzt aufgesucht, sondern nur einen Allgemeinmediziner. Dieses Argument beruht offenbar auf der Inanspruchnahme eines allgemeinen Erfahrungssatzes, demzufolge ein Arzt für Allgemeinmedizin grundsätzlich nicht die Kompetenz hat, eine Depression zu erkennen und medikamentös zu behandeln. Ein solcher allgemeiner Erfahrungssatz existiert jedoch nicht.