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VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 28.11.2005 - 7 UZ 153/05.A - asyl.net: M7942
https://www.asyl.net/rsdb/M7942
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, grundsätzliche Bedeutung, allgemeine Gefahr, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Krankheit, Verfahrensmangel, Beweisantrag, rechtliches Gehör, Sachverständige, eigene Sachkunde
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1; AuslG § 53 Abs. 6; AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138; GG Art. 103 Abs. 1
Auszüge:

Der gemäß § 78 Abs. 4 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel bleibt ohne Erfolg.

2. Der Kläger beruft sich gegenüber dem angegriffenen Urteil auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, den er im Hinblick auf mehrere Fragen für gegeben erachtet.

aa. Nach diesem Maßstab ist zunächst die grundsätzliche Bedeutung der - vom Kläger als solche bezeichneten - Rechtsfrage, ob bürgerkriegsbedingt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung Leidende aus dem Kosovo eine Gruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG darstellen, zu verneinen.

Das Krankheitsbild auch der bürgerkriegsbedingten posttraumatischen Belastungsstörung ist infolge seiner Abhängigkeit sowohl von den Besonderheiten des erlebten belastenden Ereignisses als auch von individuellen Persönlichkeitsfaktoren des Erlebenden so vielfältig, dass schon - unabhängig von im Zielstaat der Abschiebung bestehenden Behandlungsmöglichkeiten - die Situation, dass jedem Betroffenen eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben in gleicher Weise droht, nicht gegeben ist. Hinzu tritt, dass - der Verschiedenheit des Krankheitsbildes korrespondierend - für die Abwehr einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben, um die allein es im Zusammenhang des § 53 Abs. 6 AuslG geht, von Fall zu Fall unterschiedliche Therapieerfordernisse bestehen. Die Verfügbarkeit der jeweils notwendigen Behandlungsmöglichkeiten sowie deren Erreichbarkeit für den Betroffenen im Kosovo aber differiert gleichfalls in einer Weise, die eine einheitliche Beurteilung als allgemeine Gefahr für eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG nicht zulässt.

Die aufgezeigte Mannigfaltigkeit der aus einer posttraumatischen Belastungsstörung resultierenden Gefahrenlagen steht auch der von § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG für das Eingreifen der Sperrwirkung zusätzlich vorausgesetzten Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung nach § 54 AuslG für den Personenkreis der bürgerkriegsbedingt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung Leidenden aus dem Kosovo entgegen.

Der Umstand, dass es der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG (jetzt: § 60a Abs. 1 AufenthG) möglich wäre, die Aussetzung von Abschiebungen für diesen Personenkreis anzuordnen, ist für die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG unerheblich. Denn der Begriff der Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ist - wie die Begriffsbestimmung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt - ein anderer und engerer als der der in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppe in § 54 AuslG, der bis zur Grenze des Willkürverbots jede Zusammenfassung von Ausländern durch die oberste Landesbehörde zu einer Gruppe anhand von Kriterien, die diese gemeinsam aufweisen, zulässt.

3. Der Kläger beruft sich gegenüber dem angefochtenen Urteil ferner auf den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 VwGO und macht verschiedene Verfahrensfehler geltend.

a. Als Versagung rechtlichen Gehörs beanstandet der Kläger die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags "darüber, dass eine dringend behandlungsbedürftige posttraumatische Belastungsstörung ... vorliegt, die im Falle einer Rückkehr in das Kosovo zu einer Retraumatisierung führen würde." (Nr. III.2.1., Bl. 13, 14 der Antragsschrift).

Der Kläger hat im Zulassungsantrag bereit nicht hinreichend deutlich gemacht, welchen der laut Anlage zum Protokoll vom 24. November 2004 in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge, die jeweils durch Beweisthema und Beweismittel gekennzeichnet sind, seine unter Nr. III.2.1. erhobene Rüge betrifft. Bezieht man die Ausführungen des Klägers auf den am ehesten in Betracht kommenden Beweisantrag 1 a) (vgl. Bl. 165 der Gerichtsakte) - zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger infolge seiner Erlebnisse im Kosovo vor seiner Flucht nach Deutschland an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die dringend psychotherapeutisch behandelt werden muss und die im Falle einer Rückkehr in das Kosovo zu einer Retraumatisierung und somit erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers führen würde, was im Kosovo als dem Gebiet, in dem die Traumatisierung zugefügt wurde, aufgrund der Retraumatisierungsgefahr nicht behandelt werden könnte, wird die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, wobei angeregt wird, hiermit Trauma Transform Consult (ehemals DIPT) zu beauftragen - steht dem Erfolg der Gehörsrüge entgegen, dass das Verwaltungsgericht in im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu beanstandender Weise von der begehrten Beweiserhebung durch Sachverständige mit der Begründung abgesehen hat, es verfüge aufgrund der in das Verfahren eingeführten Dokumente über genügend eigene Sachkunde. Dieses gerichtliche Prozessverhalten weist keine gehörsrechtlichen Defizite auf. Zunächst steht es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, wie es sich die für seine Entscheidung erforderliche Sachkunde verschafft. Demgemäß kann das Gericht auch den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde, die zur tatsächlichen Würdigung des Sachverhalts erforderlich ist, ablehnen (vgl. Hess. VGH, Beschlüsse vom 23. März 2005 - 9 UZ 2158/01.A - sowie vom 27. Mai 2005 - 9 UZ 206/03.A -). Allerdings muss ein Gericht, um einen Antrag auf Beweiserhebung durch Sachverständige unter Berufung auf sein Wissen aus ihm vorliegenden amtlichen Auskünften und sonstigen beigezogenen Erkenntnisquellen prozessordnungsgemäß abzulehnen, im Ablehnungsbeschluss oder jedenfalls in der Sachentscheidung nachvollziehbar darlegen, woraus es seine Sachkunde bezieht (vgl. Hess. VGH, Beschlüsse vom 22. März 2004 - 9 UZ 925/00.A - DÖV 2004, 628 [Ls] und vom 27. Mai 2005 - 9 UZ 206/03.A -). Dieser Darlegungspflicht ist das Verwaltungsgericht indes nachgekommen.