VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Beschluss vom 20.09.2005 - 3 G 870/05.A - asyl.net: M7946
https://www.asyl.net/rsdb/M7946
Leitsatz:
Schlagwörter: Antragsfiktion, Asylantrag, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Anzeigepflicht, Rückwirkung, Entscheidungszeitpunkt, Zuwanderungsgesetz, Altfälle
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 2; AsylVfG § 36
Auszüge:

Der form- und fristgerecht erhobene, zulässige Antrag ist auch in der Sache begründet. Das Gericht hat ernstliche Zweifel i.S.d. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ablehnungsentscheidung. Ausgangspunkt der gerichtlichen Prüfung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 36 AsylVfG ist die Prüfung der Frage, ob die Antragsgegnerin den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat.

Der angefochtene Bescheid dürfte nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung im übrigen deshalb keinen Bestand haben, weil § 14a AsylVfG auf den Antragsteller nicht anwendbar ist.

Das Asylverfahren der Eltern des Antragstellers ist seit dem 05.10.1998 unanfechtbar abgeschlossen, so dass nur die Anwendung von § 14a Abs. 2 AsylVfG in Betracht kommen kann. Der Antragsteller ist in Deutschland geboren, seine Eltern haben nach Abschluss ihres Asylverfahrens derzeit keinen Aufenthaltstitel. Entscheidend ist, ob diese Vorschrift nur auf Kinder Anwendung findet, die nach dem Inkrafttreten dieser Norm (01.01.2005) als Kind unter 16 Jahren ins Bundesgebiet eingereist oder hier geboren sind. Die Norm ist durchgehend im Präsenz gefasst und knüpft u.a. an einen erst seit dem 01.01.2005 bestehenden Aufenthaltstitel, die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, an. Nach diesem Sprachgebrauch bestehen ernsthafte Zweifel daran, dass diese Norm der Entscheidung der Antragsgegnerin zugrunde gelegt werden konnte.

Die Notwendigkeit eine klare Aussage zu treffen ergibt sich auch aus dem Gesetzgebungsverfahren selbst.

Die Regelung des § 14a AsylVfG, die auf einen Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen zurückgeht, hat auch eine Stellungnahme zum Gegenstand gehabt, wonach Übergangsregelungen unverzichtbar seien und dringend regelungsbedürftig sei, ob etwa die formellen Vorschriften des Gesetzes ausnahmsweise, nur teilweise oder überhaupt nicht auch für Ausländer gelten sollen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereist bzw. im Bundesgebiet geboren worden seien, für die aber bisher kein eigener Asylantrag gestellt worden sei. Wenn im Rahmen dieses Gesetzgebungsvorhabens durch Vorlage entsprechender Stellungnahmen ein eindeutiger Bedarf herausgestellt worden ist und der Bundesgesetzgeber auf eine entsprechende Regelung verzichtet hat, so lässt sich daraus nicht der gesetzgeberische Wille entnehmen, auch Personen in die Regelung einbeziehen zu wollen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingereist bzw. geboren worden sind. Vielmehr lässt sich nur der Schluss ziehen, dass bewusst von einer solchen Regelung hat abgesehen werden sollen und der Anwendungsbereich sich auf Personen erstrecken sollte, für die die Voraussetzungen erst ab dem 01.01.2005 gelten. Dies ergibt sich auch daraus, dass eine "unverzügliche" Anzeige zu erfolgen hat. Die Unverzüglichkeit einer Anzeige muss sich auf ein entsprechendes anzuzeigendes Ereignis beziehen, und dies kann nach dem eindeutigen Wortlaut des Abs. 2 von § 14a AsylVfG nur die Einreise eines Minderjährigen bzw. dessen Geburt sein (vgl. insoweit Beschluss des VG Göttingen vom 17.03.2005, 3 B 272/05; Beschluss des VG Oldenburg vom 22.06.2005, 11 B 465/05).

Soweit man die gesetzliche Regelung des § 14a Abs. 2 AsylVfG nicht nur für die seit dem 01.01.2005 eingereisten und geborenen Kinder für anwendbar erklären wollte, hätte dies die Konsequenz, dass rückwirkend ab dem 01.01.2005 alle eingereisten und in Deutschland geborenen Kinder für einen Zeitraum von 16 Jahren von dieser Regelung erfasst werden würden. Dies hätte zur Konsequenz, dass möglicherweise Tausende von Kindern von abgelehnten Asylbewerbern nachträglich in ein solches Verfahren einbezogen werden könnten, um eine bislang nicht vorgenommene "sukzessive Asylantragstellung" ausschließen zu können, von der aber offensichtlich bislang kein Gebrauch gemacht worden ist.

Aufgrund der Beschränkung des Geltungsbereichs der Norm für eingereiste bzw. in Deutschland geborene Kinder ab dem 01.01.2005 kann vorliegend die Frage einer Rückwirkung der sich daraus ergebenden Konsequenzen dahingestellt bleiben.