VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 03.01.2006 - 2 K 2026/04.A - asyl.net: M7957
https://www.asyl.net/rsdb/M7957
Leitsatz:

Asylanerkennung wegen Übertritts zum Christentum und Missionierung im Iran und in Deutschland.

 

Schlagwörter: Iran, Christen (evangelische), Konversion, Apostasie, Missionierung, Assembly of God, Ausreise, Flughafen, Grenzkontrollen, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: GG Art. 6; AufenthG § 61 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 1
Auszüge:

Asylanerkennung wegen Übertritts zum Christentum und Missionierung im Iran und in Deutschland.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Voraussetzungen des Art. 16a GG sind erfüllt.

Die Zuwendung zum christlichen Glauben, die aktive Teilnahme am Gemeindeleben in Teheran und Karadj sowie die Missionsarbeit der Kläger dürfte den staatlichen Behörden bekannt geworden sein. Dafür sprechen mehrere Ereignisse: Zunächst suchte ein Mitarbeiter des "Amtes für Sicherheit und Nachrichten" den Kläger in seinem Geschäft auf und fragte ihn recht unvermittelt, ob er sich dem christlichen Glauben zugewandt habe, was dieser - wie er dem Gericht eindrücklich geschildert hat - nach einem kurzen Gebet bejaht hat. Der Mann hat den Kläger dann eindringlich darauf hingewiesen, dass es einschneidende Konsequenzen haben werde, wenn er weiter mit den "Ungläubigen" verkehre. Er solle sich im Hinblick auf sein Leben sowie sein Hab und Gut wieder dem Islam zuwenden. Dies stellt eine unverkennbare Drohung seitens staatlicher Stellen dar. Kurze Zeit später wurde dann die Klägerin, die lange Jahre in der Verwaltung einer Mädchenschule tätig war, vom Amt für Sicherheit und Nachrichten vorgeladen. Dort wurde ihr mitgeteilt, dass sie entlassen sei. Zwar dürfte diese Maßnahme für sich genommen - wie das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid ausgeführt hat - kein asylerhebliches Gewicht besitzen. Sie ist jedoch Teil der gravierenden Folgen für die Kläger. Die Konsequenzen gipfeln in den - fluchtauslösenden - Ereignissen des Abends des 14. Shariwar 1381, als Unbekannte die Fensterscheiben im Haus der Kläger einwarfen und ihr Auto in Brand setzten, wie dies die Kläger in ihrer Anhörung übereinstimmend und eindringlich geschildert haben. Sie flohen dann auf Rat des Pastor S unmittelbar zu Schwester N, wo sie sich versteckt hielten, bis die Klägerin mit den Söhnen ausreisen konnte. Der Kläger hingegen musste sich noch über ein Jahr bei einer Schwester in Tabriz versteckt halten, bevor auch ihm die Ausreise gelang. Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid ausführt, der weitere Aufenthalt des Klägers im Iran zeige, dass ihm keine unmittelbare Verfolgung gedroht habe, wird die Situation verkannt. Der Kläger hat dargelegt, dass er sich verborgen gehalten und die gesamte Zeit keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt habe. Er habe vielmehr von seiner Familie erfahren, dass immer wider nach ihm und seiner Familie gefragt worden sei.

Angesichts dieser Ereignisse ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die zum christlichen Glauben konvertierten und missionarisch tätigen Kläger in das Blickfeld der iranischen Sicherheitsbehörden geraten und unter dem Eindruck unmittelbar drohender Verfolgung den Iran verlassen haben. Diese Bewertung steht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung und der aktuellen Auskunftslage. Danach hat ein Iraner wegen des Übertritts vom Islam zum christlichen Glauben (Konversion) insbesondere dann politische Verfolgung zu befürchten, wenn er über den verfassungsrechtlich geschützten Bereich des religiösen Existenzminimums hinaus missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position entfaltet hat, die nach außen erkennbar und nachhaltig mit Erfolg ausgeübt worden ist (st. Rspr.; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Dezember 2004 - 5 A 4798/04.A -; vom 30. Oktober 2003 - 5 A 4072/03.A -; vom 5. September 2001 - 6 A 3293/01.A - (NVwZ 2002, Beilage Nr. I 1, 10 - 11), vom 3. August 1998 - 9 A 1496/98.A -, vom 29. Mai 1996 - 9 A 4428/95.A - und vom 22. August 1997 - 9 A 3289/97.A -; ferner Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 29. August 2003 - 1 Bf 11/98.A -; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 14. Februar 2002 - 14 B 02.30878 -).

Dieser Annahme steht auch nicht die Ausreise der Kläger über den Flughafen Teheran-Mehrabad entgegen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass eine Ausreise aus dem Iran in besonderer Weise erschwert ist. Wer von staatlichen Stellen als Feind der Islamischen Republik gilt, erscheint auf einer den Grenzstellen vorliegenden Ausreiseverbotsliste. Dies führt bei einem Ausreiseversuch regelmäßig nicht nur zur Zurückweisung bei der Grenzkontrolle, sondern auch zur Festnahme. Wer den Iran über den Flughafen Teheran-Mehrabad verlassen will, muss grundsätzlich nicht nur über einen gültigen Pass und ein gültiges Ausreisevisum verfügen, sondern sich auch Überprüfungen durch Sicherheitskräfte, Passbehörde und Informationsministerium unterziehen. Um die Möglichkeit von Bestechungsabsprachen zu erschweren, werden die Kontrollbeamten häufig ausgetauscht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. April 1999, S. 27 ff.; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 22. Dezember 1997 (233), S. 5 ff.).

Die Kläger sind jeweils mit ihrem eigenen iranischen Nationalpass eingereist. Der Kläger hat vorgetragen, dass er 12.000 Euro für die Ausreise der Familie bezahlt habe. Der Pastor der iranischen Gemeinde habe (mutmaßlich gegen entsprechende Bezahlung) Visa der sog. Schengenstaaten Griechenland bzw. Italien besorgt. Es ist im übrigen bekannt, dass neben einer Ausreise mit gefälschten Papieren auch die (sehr teure) Möglichkeit einer Ausreise mit eigenem Pass und unter Mithilfe eines Schleppers besteht.

Den Klägern steht aber nicht nur wegen des dargestellten Vorfluchtgrundes, sondern auch wegen ihrer missionarischen Tätigkeit in herausgehobener Position in der Bundesrepublik Deutschland ein Anspruch auf Asyl zu. Im Falle einer Rückkehr in den Iran droht den Klägern aus diesem Grund mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Hierbei handelt es sich allerdings um einen subjektiven Nachfluchttatbestand, da die Kläger den Grund für eine derartige Gefährdung nach ihrer Flucht aus dem Iran in Deutschland geschaffen haben. Eine Asylberechtigung folgt auch hieraus gleichwohl, da dieser selbstgeschaffene Nachfluchttatbestand sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthaltes im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellt, mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung erscheint (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Die Zuwendung zur Gemeinde Gottes in F, die aktive Teilnahme am Gemeindeleben und die Missionsarbeit stehen erkennbar im Zusammenhang mit der Konversion, Taufe, Teilnahme am Gemeindeleben und Missionsarbeit in den Gemeinden in Teheran und Karadj.

Eine Verfolgungsgefahr besteht für den Fall einer Rückkehr in den Iran für zum christlichen Glauben übergetretene Muslime, die eine missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position ausüben, die nach außen erkennbar, nachhaltig und mit Erfolg ausgeübt wird und iranische Stellen hiervon erfahren können. Grund hierfür ist, dass der iranische Staat nicht allein die Existenz von Christen und christlichen Kirchen als gegen ihn gerichtete politische Tätigkeit einstuft, sondern nur solche Verhaltensweisen von Christen, die er als Angriff auf sich und die islamische Grundordnung interpretiert. Das ist beim Missionieren unter den oben genannten Voraussetzungen der Fall. Vor allem dann, wenn - wie hier - die Missionierung von Mitgliedern einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde ausgeht, die nach eigenem Anspruch eine nach außen gerichtete, aktive Missionierungstätigkeit entfaltet, besteht eine erhöhte Verfolgungsgefahr. Daher ist die Verfolgung von in Deutschland missionierenden Angehörigen der freikirchlich-protestantischen Szene durch den iranischen Staat im Falle einer Rückkehr wahrscheinlicher als die Verfolgung Angehöriger anderer christlicher Kirchen (vgl. Urteil der Kammer vom 19. April 2005 - 2 K 3694/03.A -, www.nrwe.de).

Es ist ferner beachtlich wahrscheinlich, dass die Missionstätigkeit der Kläger den iranischen Behörden bekannt wird. Es ist allgemein anerkannt, dass iranische Stellen die im Ausland tätigen Oppositionsgruppen genau beobachten (vgl. nur Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. August 2005, S. 25).

Dies erstreckt sich nach Einschätzung des Gerichts auch auf die Gruppe missionierender iranischer Konvertiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass den iranischen Behörden eine missionarische Tätigkeit unter iranischen Staatsangehörigen im Ausland bekannt wird, ist nämlich wegen der noch geringen Zahl christlicher Iraner als verhältnismäßig hoch einzuschätzen (vgl. amnesty international, Gutachten vom 3. Juli 2003 - MDE 13-02.044 -; Urteil der Kammer vom 19. April 2005 - 2 K 3694/03.A -,

www.nrwe.de)