VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 19.12.2005 - 6 K 684/03.A - asyl.net: M7960
https://www.asyl.net/rsdb/M7960
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Immundefekt, Gefäßerkrankung, medizinische Versorgung, Klageantrag, Auslegung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2 - 7; AufenthG § 60 Abs. 7; VwGO § 88
Auszüge:

Die zulässige Klage ist begründet. Vorausschickend sei angemerkt, dass das Gericht davon ausgeht, dass die Klägerin - ungeachtet der insoweit eingeschränkten wörtlichen Fassung des Klageantrags in der mündlichen Verhandlung - die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) begehrt und lediglich in Form eines Hinweises die Absätze der Vorschrift des § 60 AufenthG besonders benennt, die nach ihrer Auffassung für ihren Einzelfall einschlägig sein könnten. Eine solcherart sinngemäße Auslegung des Klageantrages drängt sich - jedenfalls für die Rechtslage nach Inkrafttreten der Novellierung des Ausländerrechts zum 1. Januar 2005 - als sachgerecht auf und sprengt auch nicht den Rahmen des § 88 VwGO (vgl. mit ausführlicher und überzeugender Begründung: Marx, Ausländer- und Asylrecht, 2. Auflage 2005, § 8 Rdnr. 53ff.).

Eine eindeutige Abgrenzung zwischen den einzelnen Regelungs- und Schutzbereichen der Absätze 2 bis 7 des § 60 AufenthG - und damit auch zwischen den einzelnen von diesen Vorschriften erfassten Streitgegenständen - erscheint zumindest mit Blick auf die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgenommene Auslegung des Begriffs der unmenschlichen und erniedrigenden Maßnahme im Sinne des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), unter den etwa auch Foltermaßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 2 AufenthG, die Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne des § 60 Abs. 3 AufenthG und - so jedenfalls für extreme Einzelfälle - auch Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG aufgrund fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland subsumiert werden können, nicht (mehr) mit der gebotenen Klarheit und Schärfe möglich. Nach alledem erscheint es sinnvoll, einen auf einzelne Absätze des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zielenden Antrag auf die anderen Regelungen zu erstrecken (so wohl auch mit einer etwas missverständlichen Formulierung: Marx, a.a.O., § 8 Rdnr. 64).

Auf dem Hintergrund dieser auf tatbestandsmäßigen Überschneidungen beruhenden Abgrenzungsproblematik und mit Blick auf die (neue) ausländerrechtliche Gleichbehandlung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sowohl in § 25 Abs. 3 AufenthG als auch in § 59 Abs. 3 AufenthG entfällt weiter auch die Notwendigkeit für eine Tenorierung, die ausdrücklich - und unter Umständen unter Abweisung der Klage im Übrigen mit der entsprechenden Kostenfolge - eine einzelne der in Betracht kommenden Regelungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezeichnet. Auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) (vgl. Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19/96 -, BVerwGE 104, 260) zum Stufen- und Rangverhältnis zwischen den einzelnen Absätzen des § 53 des Ausländergesetzes (AuslG) - insbesondere zum nachgeordneten Stufenverhältnis des § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG zu § 53 Abs. 5 AuslG - vermag insoweit nicht mehr zwingend zu überzeugen. Bedarf es nach diesen Überlegungen keiner absatzscharfen Tenorierung, ist das Gericht spiegelbildlich auch nicht gehalten, das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale eines weiteren Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu prüfen, sofern eindeutig die Voraussetzungen jedenfalls eines Abschiebungsverbots vorliegen.