VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 16.12.2005 - 20 K 4660/04.A - asyl.net: M7961
https://www.asyl.net/rsdb/M7961
Leitsatz:
Schlagwörter: Wiederaufgreifen, Ermessen, neue Beweismittel, Sachverständigengutachten, Krankheit, Abschiebungshindernis, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, Glaubwürdigkeit, fachärztliche Stellungnahmen, Beweiswürdigung
Normen: VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Weigerung des Bundesamtes, die frühere Feststellung zu § 53 AuslG aufzuheben, ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Abänderung des Bescheides des Bundesamtes vom 29.9.1998 bzgl. der dort getroffenen negativen Feststellung zu § 53 AuslG - heute § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG -.

Die Frage, ob die nach Abschluss eines ersten Asylverfahrens vorgelegten und regelmäßig als Parteivortrag zu wertenden ärztlichen Stellungnahmen und Privatgutachten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. März 1992 - 4 B 39/92 - NVwZ 1993, 268 und Beschluss vom 21. September 1994 - 1 B 131/93 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 46), wenn diese keine neuen Erkenntnisse beinhalten, sondern die früheren Erkenntnisse lediglich anders werten, neue Beweismittel (in Form von Urkunden) darstellen können, oder ob ihre Vorlage als Vortrag einer geänderten Sachlage zu werten ist, kann offen bleiben (vgl. zu dieser Frage Urteil des BVerwG vom 28. Juli 1989 - 7 C 78/88 - DVBl 1989, 1192: "Sachverständigengutachten sind im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG nur dann neue Beweismittel, wenn sie nach Abschluss des Verwaltungs(streit)Verfahrens erstellt und neue, seinerzeit nicht bekannte Tatsachen verwerten, wenn sie also selbst auf neuen Beweismitteln beruhen (vgl. Urteil vom 28. Juli 1989 - BVerwG 7 C 78.88 - (BVerwGE 82, 273, 277) unter Bezugnahme auf Beschluss vom 21. November 1978 - BVerwG 6 B 35.78 - (Buchholz 316 § 51 Nr. 6)). Anderenfalls müsste jedes neue Sachverständigengutachten regelmäßig zum Wiederaufgreifen eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens führen, und es käme durch beliebig wiederholbares Vorlegen neuer Sachverständigengutachten zur "ständigen Neuauflage des Verwaltungsverfahrens". Danach reicht die Vorlage des neuen, erst im Disziplinarverfahren erstellten ärztlichen Gutachtens hier nicht aus, weil ihm zur Beurteilung derselbe Sachverhalt ohne Hinzutreten neuer, im Verwaltungsstreit noch unbekannter Tatsachen zugrunde gelegen hat.")

Jedenfalls käme ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nur dann in Betracht, wenn die von der Klägerin beigebrachten ärztlichen Unterlagen Anlass gäben, die Richtigkeit der Feststellung zu § 53 AuslG im vorangegangenen Asylverfahren in Frage zu stellen. Dies ist aber nicht der Fall. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Abschiebung der Klägerin in die Türkei einem Verbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG unterliegt. Insbesondere ist kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG (des früheren § 53 Abs. 6 AuslG) gegeben.

Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung geltend gemacht, ist es Aufgabe des Gerichts, sachverständige Äußerungen nicht einfach zu übernehmen, sondern die darin getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände, der eigenen Sachkunde und der allgemeinen Lebenserfahrung selbstverantwortlich auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen und nachzuvollziehen. Die Würdigung ärztlicher Atteste insbesondere zum Vorliegen psychischer Erkrankungen von Asylbewerbern ist dabei eine sich in der verwaltungsgerichtlichen Praxis immer wieder stellende Aufgabe. Gerade aufgrund der dadurch gewonnenen Erfahrung ist das Gericht regelmäßig befähigt, ärztliche Bescheinigungen jedenfalls in methodischer Hinsicht zu hinterfragen und daraufhin zu überprüfen, ob sie anerkannten wissenschaftlichen Standards genügen. Eine besondere medizinische Sachkunde ist dafür regelmäßig nicht erforderlich (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Januar 2005 - 21 A 3093/04.A - m.w.N.).

Auch zur Bewertung vorgelegter ärztlicher Bescheinigungen über das Bestehen posttraumatischer Belastungsstörungen bedarf es keiner besonderen ärztlichen Sachkunde. Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um innerpsychisches Erleben, das sich einer Erhebung äußerlichobjektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, so dass es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebens und der zu Grunde liegenden äußeren Erlebnistatsachen ankommt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Januar 2005 - 21 A 3093/04.A - m.w.N.).

Die nunmehr vorgelegten Stellungnahmen bzw. Gutachten sind schon deshalb nicht geeignet, die frühere Feststellung des Bundesamtes, wonach ein Abschiebungsverbot nicht besteht, in Frage zu stellen, weil den bescheinigenden Ärzten wesentliche Umstände bei der Erstellung des Befundes und bei der Beurteilung der Erlebnisfundierung der berichteten Verfolgungsgeschichte offenbar nicht bekannt waren, jedenfalls keine Berücksichtigung gefunden haben.