OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.12.2005 - 18 B 1592/05 - asyl.net: M7962
https://www.asyl.net/rsdb/M7962
Leitsatz:
Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Familienzusammenführung, Vater, deutsche Kinder, Schutz von Ehe und Familie
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; GG Art. 6
Auszüge:

Die vom Verwaltungsgericht hinsichtlich der allein in Erwägung genommenen Anspruchsgrundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG angeführten und vom Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung bestrittenen Zweifel am Bestehen einer ausländerrechtlich schützenswerten Beziehung zwischen ihm und seiner am 29. Januar 1999 geborenen deutschen Tochter ... haben nicht ein solches Gewicht, dass daraus die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hergeleitet werden kann.

Allerdings ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass für die Beantwortung der Frage, ob eine - hier in Rede stehenden - Vater-Kind-Beziehung in Form einer aufenthaltsrechtlich schützenswerten Lebensgemeinschaft vorliegt, nicht das abstrakte Bestehen des Sorge- bzw. Umgangsrechts als solches, sondern allein der tatsächliche Umfang seiner Ausübung im Einzelfall entscheidend ist. Dies erfordert eine Bewertung der Beziehungen zwischen dem Elternteil und seinem Kind, bei der sich allerdings jede schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen verbietet. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Es ist unter Betrachtung des Einzelfalls zu würdigen, ob eine dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft vorliegt. Eine solche lässt sich nicht nur durch objektiv messbare und bestimmbare Mindestkriterien für die Annahme aufenthaltsrechtlich schützenswerter Betreuungsleistungen bestimmen. Die Ausgestaltung der Elternverantwortung wird darüber hinaus auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171).

Wenn - wie hier - keine häusliche Gemeinschaft besteht, können entsprechende Anhaltspunkte für die erforderliche Erziehungsgemeinschaft zwischen einem Vater und seinem Kind etwa in intensiven Kontakten, gemeinsam verbrachten Ferien, der Übernahme eines nicht unerheblichen Anteils an der Betreuung und der Erziehung des Kindes oder in sonstigen vergleichbaren Beistandsleistungen liegen, die geeignet sind, das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunktes weitgehend auszugleichen, wobei sich die Anforderungen an die Intensität der Kontakte nach den Besonderheiten des Einzelfalls beurteilen. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird, sondern der Vater - allein oder gemeinsam mit der Mutter - wesentliche elterliche Betreuungsleistungen erbringen kann, die aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG entfalten können. In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl. 1997 I S. 2942) u.a. die Rechtsposition des Kindes hinsichtlich des Umgangsrechts gestärkt worden ist. Das Kind hat gemäß § 1684 Abs. 1 BGB ein eigenes Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist seinerseits zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt (vgl. auch § 1626 Abs. 3 BGB). Auch wenn sich hieraus allein noch keine veränderte aufenthaltsrechtliche Beurteilung ergeben mag, ist seither maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2003 - 1 C 13.02 -, InfAuslR 2003, 324).

Dem gegenüber kann die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis und die Einleitung aufenthaltsbeendende Maßnahmen jedenfalls dann unbedenklich sein, wenn keine Lebensverhältnisse bestehen, die einen über die Aufrechterhaltung einer Begegnungsgemeinschaft hinausgehenden familienrechtlichen Schutz angezeigt erscheinen lassen (vgl. zu allem BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20. März 1997 - 2 BvR 260/97 -, vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59 = InfAuslR 2000, 67, und vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 16.96 -, InfAuslR 1998, 272; Senatsbeschluss vom 9. Juli 2002 - 18 B 2141/02).