VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 23.11.2005 - 7 K 3570/02.A - asyl.net: M7967
https://www.asyl.net/rsdb/M7967
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, UNMIK, KFOR, KPS, Märzunruhen, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, interne Fluchtalternative
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Im Übrigen hat die Klage nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber hinsichtlich der Kläger zu 1., 3. und 4. in vollem Umfang unbegründet; hinsichtlich der Klägerin zu 2. ist sie nur insoweit begründet, als diese hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt.

Zur Begründung nimmt das Gericht zwecks Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die Gründe seines Beschlusses vom 4. Juni 2002 im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (7 L 2049/02.A), die es nach erneuter Überprüfung auch gegenwärtig für zutreffend hält. Hinzuzufügen ist, dass auch die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG, die klarstellt, dass eine politische Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen kann, dem Begehren der Kläger nicht zum Erfolg verhilft. Die genannte Vorschrift setzt voraus, dass der Staat bzw. Parteien oder (internationale) Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Daran fehlt es hier. Abgesehen davon, dass von der instabilen Sicherheitslage im Kosovo ganz überwiegend Angehörige ethnischer Minderheiten betroffen sind, zu denen die Kläger als Albaner nicht gehören, ist nicht erwiesen, dass die im Kosovo quasistaatliche Gewalt ausübenden Interventionsmächte (KFOR und UNMIK) nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Bevölkerung bzw. Bevölkerungsteile vor Übergriffen gewaltbereiter Privatpersonen zu schützen. Die Schutzbereitschaft wird von den Klägern nicht in Frage gestellt. Es ist auch davon auszugehen, dass es den im Kosovo stationierten Sicherheitskräften grundsätzlich möglich ist, hinreichenden Schutz zu bieten. So ist der Aufbau einer lokalen multi-ethnischen Polizei (Kosovo Police Service - KPS) weit vorangetrieben worden. Ferner sind zurzeit rund 2.160 Vollzugsbeamte der internationalen Polizei aus 45 Ländern vor Ort im Einsatz (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien und Montenegro (Kosovo) vom 30. August 2005, S. 6).

Der auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtete Hilfsantrag der Klägerin zu 2. ist dagegen begründet. Es besteht ein Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach der hier allein in Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (welche am 1. Januar 2005 an die Stelle des - auf der Tatbestandsseite wortgleichen - § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getreten ist).

Nach den ärztlichen Feststellungen leidet die Klägerin zu 2. an einer chronischen obstruktiven Emphysembronchitis mit Bronchoektasien. Durch jeden bronchopulmonalen Infekt ist ihr Leben akut bedroht. Zur Vermeidung eines lebensgefährlichen Zustandes bedarf sie der jederzeitigen Verfügbarkeit einer umfangreichen Medikation. Dabei besteht die Besonderheit, dass schon bloße medikamentöse Versorgungslücken im Falle eines akuten Erstickungsanfalls zu einer existenzbedrohenden Situation führen können.

Eine solche jederzeitige Erhältlichkeit der zahlreichen benötigten Medikamente ist im Kosovo nicht gewährleistet. Nach der vom Gericht eingeholten Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 12. Oktober 2004 stehen inhalative Parasympathomimetika dort nicht zur Verfügung. Doch selbst wenn ein Medikament generell im Kosovo vorhanden ist, bedeutet dies nicht, dass es überall und jederzeit verfügbar ist. Es kann durchaus zu Engpässen in der Versorgung kommen. Meistens sind die Medikamente der Essential Drug List (EDL) irgendwo im Kosovo erhältlich. Ein großes Problem stellt jedoch die Distribution dar, vor allem für ambulante Patienten. Es kommt vor, dass ein Medikament der EDL temporär nicht erhältlich ist und ein Ersatzmedikament gekauft werden muss, das nicht auf der Liste steht und kostenpflichtig ist. Häufig bestimmt nicht der medizinische Bedarf, sondern das Angebot an Medikamenten die Verschreibung. Insgesamt ist es oft schwer vorherzusagen, ob und unter welchen Bedingungen Medikamente erhältlich sind (vgl. UNHCR, Auskunft an das VG Koblenz vom 18. Juli 2005).

Angesichts der Art und Schwere ihrer Erkrankung sowie der lebensbedrohlichen Folgen der - auch nur zeitweiligen - Nichtverfügbarkeit der erforderlichen Medikamente ist es der Klägerin zu 2. nicht zuzumuten, sich in eine Situation zu begeben, die durch derartige Unwägbarkeiten geprägt ist. Es kann ihr nicht angesonnen werden, ihr Leben einzusetzen, um "auszuprobieren", ob die Medikamente, wenn sie akut benötigt werden, auch tatsächlich für sie erhältlich sind. Dies gilt umso mehr, als auch eine flächendeckende ärztliche Notfallversorgung im Kosovo nicht gewährleistet ist (vgl. Deutsches Verbindungsbüro Kosovo, Auskünfte vom 7. Juni 2004 (Az. RK 516.80 301.20-34303/2), vom 15. April 2004 an das VG Frankfurt/Oder und vom 26. Februar 2004 an das VG Freiburg), und ausgehend von der amtsärztlichen Stellungnahme vom 20. März 2003 bereits die letzte Rückkehr der Klägerin zu 2. in den Kosovo im Jahre 2001 wegen der unzureichenden medikamentösen Behandlungsmöglichkeit eine lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zur Folge hatte.

Hinzu kommt, ohne dass dies nach obigen Ausführungen noch entscheidungserheblich wäre, dass die Klägerin zu 2. ausweislich der vom Gericht eingeholten Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros vom 12. Oktober 2004 die Kosten der Medikamente, soweit vorhanden, selbst tragen müsste.