VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 08.11.2005 - 2 K 1497/04.A - asyl.net: M7972
https://www.asyl.net/rsdb/M7972
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Schüler, Bassidji, Demonstrationen, Zoroastrier, Konversion, Apostasie, religiös motivierte Verfolgung, Sippenhaft, Wehrdienstentziehung, exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; IWPflG § 58
Auszüge:

Der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG steht entgegen, dass der Kläger den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf Grund drohender politischer Verfolgung verlassen hat und sich auch nach seiner Ausreise nicht in verfolgungsrelevanter Weise exilpolitisch betätigt hat.

So hat die Gründung und das Betreiben der Schülerarbeitsgruppe, in der nach Angaben des Klägers kritisch über die Zustände im Iran diskutiert worden ist, keinerlei verfolgungsrelevantes Verhalten staatlicher Stellen ausgelöst. Im übrigen entspricht diese Reaktion der staatlichen Kräfte auch der Auskunftslage, wonach die private oder öffentliche Äußerung von Unzufriedenheit und Kritik an der Regierung oder der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage keine staatlichen Zwangsmaßnahmen auslöst, solange sie die Werte der Islamischen Revolution und der schiitischen Glaubensrichtung nicht verunglimpft oder erkennbar darauf abzielt, das Regime selbst zu stürzen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Iran vom 29. August 2005 - 508-516.80/3 IRN -).

Ebenfalls nicht zu Verfolgungsmaßnahmen hat die Beteiligung des Klägers an einer Demonstration im Sommer des Jahres 2003 geführt. Auch hier gilt, dass die Äußerung von Unzufriedenheit oder Kritik grundsätzlich keine verfolgungsrelevanten Maßnahmen auslöst.

Desweiteren führt auch die geistige Annäherung des Klägers an die Glaubensrichtung der Zoroastrier nicht zu staatlichen Verfolgungsmaßnahmen. Es ist bereits offen, inwieweit dieser Umstand überhaupt bekannt geworden ist. Überdies ist er kein überzeugter Anhänger Zarathustras geworden, sondern hat in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, er akzeptiere diesen Glauben lediglich; einen formalen Akt des Glaubenswechsels habe es bei ihm nicht gegeben. Hierzu passt auch die Auskunftslage. Danach ist eine Konvertierung vom Islam zu den Zoroastriern nicht möglich, da es sich bei den Zoroastriern um eine Glaubensrichtung handelt, der eine Person nur durch seine Herkunft und Abstammung angehören kann (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 23. Februar 2004 an das VG Koblenz - 508-516.80/38274 -).

Allerdings hat es zu Zeiten des Schahs moslemisch-zarathustrische Ehen gegeben, in denen ein zumeist zarathustrisches Mädchen in eine moslemische Ehe hineingeheiratet hat. Zu Zeiten größerer religiöser Toleranz gab es das auch umgekehrt (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 19. April 2004 an das VG Koblenz).

Soweit es also überhaupt zur Konversion eines Moslems zu den Zoroastriern kommt, geschieht dies im Beisein eines Priesters durch eine Zeremonie, deren Hauptbestandteile ein weißes Hemd (Sedre) und ein Gürtel (Koshti) ist (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22. Dezember 2004 an das VG Karlsruhe - 508-516.80/43161 -).

Hieran fehlt es jedoch im vorliegenden Fall nach den Angaben des Klägers. Doch selbst, wenn es zu einer solchen formalen Konversion gekommen wäre, wäre dadurch keine staatliche Verfolgung ausgelöst worden. Moslems, die im Iran zur Religion der Zoroastrier übertreten, müssen nicht mit Repressalien seitens des iranischen Staates rechnen. Die zarathustrische Religion wird im Iran nicht als Beleidigung des Islam angesehen, sondern vielmehr als Nationalerbe behandelt. Sie hat einen äußerst hohen ethischen Standard, der in keiner Weise durch die Vertreter des iranischen Regimes in Zweifel gezogen oder angegriffen wird, da die Zarathustrier nicht missionieren und keine für das muslimische Staatsvolk aggressive Religionsausweitung betreiben. Die zarathustrischen Neujahrsfeierlichkeiten werden landesweit im Fernsehen übertragen und es ist für die Anhänger dieser Glaubensgemeinschaft völlig unproblematisch, sich in der Öffentlichkeit im Rahmen ihrer national-kulturellen Hinterlassenschaft zu betätigen und zu äußern (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 22. Dezember 2004 an das VG Karlsruhe - 508-516.80/43161 -; Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 8. April 2002).

Der Kläger wurde und wird im Iran schließlich auch nicht seines Vaters wegen verfolgt. Eine Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft ergibt sich hieraus jedoch nicht. Sippenhaft wird im Iran lediglich in Einzelfällen praktiziert, wenn auf Grund der Umstände des Einzelfalles ein besonderes Interesse des Staates an der Habhaftwerdung des Angehörigen besteht, wie dies bei einem als bedeutsam und gefährlich eingestuften Oppositionellen der Fall ist (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. April 1999 - 9 A 5338/98.A - und vom 10. Februar 2000 - 9 A 229/99.A -; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Iran vom 2. Juni 2003, S. 18).

Ist der Kläger nach alledem unverfolgt aus dem Iran ausgereist, kann er sich auch nicht mit Erfolg auf Nachfluchtaktivitäten berufen.

Das gilt zunächst hinsichtlich denkbarer Sanktionen gegen den Kläger wegen Wehrdienstentziehung. Er hat nach eigenen Angaben den Wehrdienst im Iran noch nicht geleistet.

Als Sanktion kommt in seinem Fall § 58 Satz 4 Buchstabe a IWPflG in Betracht. Danach erhalten Wehrpflichtige, die sich im Frieden freiwillig melden, erst mit einer Verzögerung zwischen sechs und zwölf Monaten nach Ende des Wehrdienstes einen Ausweis über die Ableistung des Militärdienstes. Werden sie verhaftet, erhalten sie die Bescheinigung erst nach ein bis zwei Jahren. Die dem Kläger damit als Sanktion für die Entziehung von der Wehrpflicht - neben dem Nachdienen - schlimmstenfalls drohende Vorenthaltung der Wehrdienstbescheinigung über einen Zeitraum von höchstens zwei Jahren (zu dieser Sanktion auch: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20. April 1999; Deutsches Orient-Institut, Stellungnahme vom 30. Juli 1996 an das OVG Saarlouis; amnesty international, Stellungnahme vom 4. Juni 1996 an das OVG Saarlouis und vom 4. Januar 1995 an das VG Düsseldorf) stellt auch unter Berücksichtigung der existenziellen Bedeutung der Wehrdienstbescheinigung und der mit ihrer Vorenthaltung verbundenen Härte keine politische Verfolgung dar.