VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 14.02.2006 - 2 K 21/06.A - asyl.net: M7984
https://www.asyl.net/rsdb/M7984
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, nichtstaatliche Verfolgung, Racheakte, Sicherheitslage, zwingende Gründe, interne Fluchtalternative, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Terrorismus, Versorgungslage
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; GFK Art. 1 C Nr. 5; AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Der den Widerruf seiner Anerkennung als Flüchtling i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG sowie eine negative Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG enthaltende Bescheid der Beklagten vom 22.07.2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).

Eine derart grundlegende, zum Widerruf berechtigende und verpflichtende nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stellt die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung der politischen Verhältnisse im Irak dar.

Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in sein Heimatland auch nicht aus anderen Gründen politische Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des nunmehr geltenden § 60 Abs. 1 AufenthG. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass er im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit einer von nichtstaatlichen Akteuren nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehenden Verfolgung rechnen muss. Die Befürchtung des Klägers, von Familienangehörigen zweier hingerichteter Schauspieler sowie Anhängern der kurdischen Organisation PUK, für die die beiden Schauspieler tätig gewesen sein sollen, getötet zu werden, weil er von diesen für deren Tod angeblich verantwortlich gemacht wird, vermag die Annahme einer Verfolgung aus politischen Gründen i.S.v. § 60 Abs. 1 AufentG schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil etwaige private Racheakte ersichtlich nicht an asylerheblich unverfügbare Merkmale wie etwa politische Überzeugung, Religion oder Rasse anknüpften.

Die sich aufgrund der angespannten Sicherheitslage im Irak ergebenden allgemeinen Gefahren stehen dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen. Derartige Gefahren werden von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ebenso wenig erfasst wie von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, der seinem Inhalt nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entspricht und sich ebenfalls ausschließlich auf den Schutz vor erneuter politischer Verfolgung bezieht (anders offenbar die UNHCR-Hinweise zur Anwendung des Art. 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention ("Wegfall der Umstände"-Klausel) auf irakische Flüchtlinge vom April 2005, wo u.a. das "Vorhandensein einer angemessenen Infrastruktur" verlangt wird, "innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte ausüben können, einschließlich ihres Rechts auf eine Existenzgrundlage").

Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung mithin auch nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit allein nach den Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts, namentlich §§ 60 Abs. 7 Satz 2 und 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt werden (vgl. dazu ausführlich BVerwG, Urteil vom 01.11.2005 a.a.O.; ferner OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 30.03.2005 -1 Q 11/05 - und vom 26.08.2005 - 2 Q 33/05 -).

Auch aus § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten herleiten.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich für den Kläger auch nicht aus der angespannten Sicherheitslage im Irak, da insoweit die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entgegen steht.

Auch wenn danach von den unvermindert anhaltenden Anschlägen im Irak eine nicht zu unterschätzende Gefährdung für die dort lebenden Menschen ausgehen mag, rechtfertigt doch die Anzahl der durch Terrorakte sowie andauernde Kampfhandlungen zu beklagenden zivilen Opfer, die von Nichtregierungsorganisationen auf über 15.000 - einige gehen von 100.000 aus - geschätzt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 24.11.2005 a.a.O., ferner ai an VG Köln, Gutachten vom 29.06.2005 a.a.O., wonach die Zahlen der zivilen Opfer von Iraq Body Count am 25.04.2005 zwischen 21.239 und 24.106 geschätzt wurden), in Relation zu der ca. 25 Millionen betragenden Bevölkerungszahl des Irak (vgl. Deutsches Orient-Institut an VG Ansbach, Gutachten vom 31.01.2005) offensichtlich nicht die Annahme, jeder Iraker werde im Falle seiner Rückkehr unmittelbar und landesweit Gefahr laufen, Opfer entsprechender terroristischer Anschläge zu werden.