OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 07.12.2005 - 11 LB 193/04 - asyl.net: M7987
https://www.asyl.net/rsdb/M7987
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, Unterstützer, PKK, Vertreibung, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Gruppenverfolgung, Sippenhaft, UNHCR, Mandatsflüchtlinge, Anerkennung im Ausland, Irak (A), Genfer Flüchtlingskonvention, Unterzeichnerstaat, Abschiebungsandrohung, Bundesamt, Prüfungskompetenz, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 26 Abs. 4
Auszüge:

1) Die Beklagte ist nicht zu verpflichten, zu Gunsten der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Das Bundesamt ist auch nicht nach § 60 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative AufenthG (früher 2 2. Alternative AuslG) verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegeben sind. Nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG besteht auch ein Abschiebungsverbot für Ausländer, die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Diese an die Anerkennung als Flüchtling in einem anderen Land anknüpfende gesetzliche Fiktion begründet jedoch keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzung des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gegen das Bundesamt. Dieses ergibt sich im Umkehrschluss aus § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (früher: § 51 Abs. 2 Satz 2 AuslG). Danach stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, ob die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots vorliegen, allerdings "außer in den Fällen des Satzes 2". Es fehlt somit an einem Feststellungsanspruch gegenüber der Beklagten (vgl. in diesem Sinne auch Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 28.04.1998 - 9 C 54.97 - JURIS). Das Bundesamt ist (gar) nicht verpflichtet, in den Fällen des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG noch tätig zu werden; denn es bedarf nicht (mehr) der besonderen Sachkunde des Bundesamtes dazu, ob politische Verfolgung vorliegt, weil dieses bereits in den Fällen des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG feststeht (vgl. ebenso VG Freiburg, Urt. v. 07.05.2002 - 7 K 10114/00 - JURIS; OVG Münster, Beschl. v. 04.02.1999 - 21 A 4014/98 - JURIS; Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 60 AufenthG Anm. 21; Fraenkel, Einführende Hinweise zum Ausländergesetz 1990, S. 276; Hailbronner, AuslG § 51 Anm. 17, 22, 30 weist ebenfalls darauf hin, dass § 51 Abs. 2 Satz 1 AuslG sich auf einen formellen Status des betreffenden Ausländers beziehe und dass dieser formelle Status von der Ausländerbehörde (also nicht vom Bundesamt) zu prüfen sei). Mit dem Bundesbeauftragten ist daher davon auszugehen, dass die formale Rechtsstellung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (§ 51 Abs. 2 Satz 1 AuslG) erst im Rahmen der Abschiebungsandrohung (vom Bundesamt oder auch von der Ausländerbehörde) zu beachten ist. Festzuhalten ist deshalb, dass eine positive Feststellung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ihre Grundlage nicht in § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG finden kann.

3) Die im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes enthaltene Abschiebungsandrohung in die Türkei begegnet keinen Bedenken. Insbesondere steht dieser Abschiebungsandrohung nicht § 51 Abs. 2 Satz 1 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) entgegen. Die Klägerin ist kein Flüchtling im Sinne dieser Bestimmung.

Nach der im Berufungsverfahren eingeholten Stellungnahme des UNHCR vom 27. Dezember 2004 ist davon auszugehen, dass die Schilderung der Klägerin über ihre Flucht aus der Türkei und ihren anschließenden Aufenthalten in verschiedenen UN-Lagern im Irak zutrifft. Weiter ist davon auszugehen, dass die Klägerin während ihres Aufenthalts in Lagern im Irak als Flüchtling vom UNHCR registriert worden ist und hierüber einen Ausweis erhalten hat. Durch diesen Ausweis ist die Klägerin aber nicht im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG "außerhalb des Bundesgebietes als ausländischer Flüchtling" im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt worden. Mit dem in der Vorschrift genannten "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" ist das Abkommen der Vereinten Nationen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 in Verbindung mit dem Protokoll vom 31. Januar 1967 gemeint (Genfer Konvention). Diesem Abkommen sind eine große Zahl von Staaten beigetreten. Es obliegt allerdings jeweils dem Vertragsstaat, über die Flüchtlingseigenschaft von Personen, die sich auf seinem Hoheitsgebiet befinden, zu entscheiden (vgl. hierzu UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf 1993, S. 1 f.). Der Irak hat das Abkommen nicht unterzeichnet. Staatliche irakische Stellen haben auch sonst nicht deutlich gemacht, dass sie aufgrund der Registrierung durch den UNHCR die Klägerin als Flüchtling im Sinne des o. a. Abkommens ansehen. Ein von dem Irak zum Nachweis ihres Flüchtlingsstatus ausgestellter Flüchtlingsausweis nach Art. 28 der Genfer Konvention liegt nicht vor. Die Registrierung durch den UNHCR als Flüchtling beruht vielmehr auf der Entscheidung des UNHCR, eine Hilfe suchende Person als sog. "Mandats-Flüchtling" anzusehen. Eine derartige Regelung ist nach der Satzung des UNHCR möglich. Nach dieser Satzung ist der Hohe Kommissar aufgerufen, unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge internationalen Schutz erhalten. Die in der Satzung des UNHCR vorgenommene Definition des Flüchtlings ist dabei nicht völlig identisch mit der Definition des Flüchtlings im Sinne der Genfer Konvention. Der UNHCR geht mithin davon aus, dass Flüchtlinge, die seinem Schutz unterstehen (Mandats-Flüchtlinge) den Schutz genießen ungeachtet dessen, ob sie sich in einem Land befinden, das Vertragspartei des Abkommens von 1951 und/oder des Protokolls von 1967 war und ungeachtet der Tatsache, ob sie von ihrem Gastland als Flüchtling im Sinne eines dieser Vertragswerke anerkannt worden sind. Es kann mithin eine Person gleichzeitig ein Mandats-Flüchtling und auch ein Flüchtling im Sinne des Abkommens von 1951 oder des Protokolls von 1967 sein (vgl. hierzu UNHCR, Handbuch, a. a. O. S. 6); ebenso gut kann ein Flüchtling aber auch nur ein Mandats-Flüchtling und nicht auch zugleich ein Flüchtling im Sinne des Abkommens von 1951/des Protokolls von 1967 sein. Schon aus der im UNHCR-Handbuch enthaltenen Definition des "Mandats-Flüchtlings" ergibt sich mithin, dass die bloße Registrierung als Mandats-Flüchtling nicht auch zwangsläufig die Rechtsstellung als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention beinhaltet.