VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 18.05.2005 - 1 K 2457/02.A - asyl.net: M7992
https://www.asyl.net/rsdb/M7992
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Christen, Missionierung, Konversion, Apostasie, Nachfluchtgründe, Folgeantrag, subjektive Nachfluchtgründe, Ausnahmefall, Religionsfreiheit, menschenrechtswidrige Behandlung, Situation bei Rückkehr, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2; AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3; GG Art. 4 Abs. 1
Auszüge:

2. Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung begehrt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen. Einer solchen Feststellung steht § 28 Abs. 2 AsylVfG in der durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 geänderten Fassung (BGBl. I S. 1950) entgegen.

Bei der Missionstätigkeit des Klägers handelt es sich um aus eigenem Entschluss geschaffene Nachfluchtgründe, die auch nicht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung entsprechen (vgl. § 28 Abs. 1 AufenthG). Allein darin, dass der Kläger - wie er bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren vorgetragen hat - bereits im Iran der islamischen Religion kritisch gegenüber stand, Kontakte zu Christen hatte und den Wunsch verspürte, den Islam zu verlassen, liegt keine erkennbare Betätigung der festen und prägend in der Persönlichkeit verwurzelten Glaubensüberzeugung als Christ und auch keine erkennbare Hinwendung zu dieser Religionsgemeinschaft (vgl. zu den Anforderungen: BVerwG, Urt. v. 31.01.1989, Az: 9 C 54/88, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 213).

Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG kann eine Feststellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG allerdings nur "in der Regel" nicht getroffen werden. Anhaltspunkte dafür, in welchen Fällen eine Ausnahme von der Anwendung des § 28 Abs. 2 AsylVfG in Betracht kommt, lassen sich weder dem Gesetz noch seiner Begründung entnehmen. Ob bei einer allein durch den Religionswechsel ausgelösten Verfolgungsgefahr im Hinblick auf die durch Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistete Glaubensfreiheit eine Ausnahme zu machen ist, wenn der Asylbewerber den Religionswechsel aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung vollzogen und daher die Verfolgungsgefahr nicht ohne zwingende Not hervorgerufen hat, kann dahinstehen. Das Bundesverwaltungsgericht geht allerdings in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Übertritt zu einer anderen Religion ein, einen Anspruch auf Asyl ausschließender, subjektiver Nachfluchtgrund ist, denn dieser Grund sei durch eine gewillkürte autonome Entscheidung des Asylbewerbers entstanden, mag auch der die Religionsgemeinschaft wechselnde Asylbewerber sich möglicherweise durch - nur schwer beweisbare - innere oder äußere Vorgänge und Motive dazu aufgerufen gefühlt haben (BVerwG, Beschl. v. 24.10.1990, 9 B 219/90 - juris -). Vorliegend ergibt sich eine Verfolgungsgefahr - wie noch auszuführen ist - aber allenfalls aus der missionarischen Betätigung des Klägers und nicht allein durch seinen Religionswechsel. Diese Betätigung geht aber über das, was als zwingender Anruf des Gewissens zu bezeichnen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.10.1990, aaO.), hinaus und vermag eine Ausnahme im Sinne des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht zu rechtfertigen.

3. Die Klage ist jedoch begründet, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 (früher § 53 Abs. 4 AuslG) festzustellen.

Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Iran die Gefahr, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK). Der Kläger hat vor der Einzelrichterin glaubwürdig und überzeugend seine Einbindung in die christlich-evangelische Gemeinde sowie seine missionarische Tätigkeit beschrieben.

Bei einer Gesamtschau ist davon auszugehen. dass der Kläger aufgrund dieser Aktivitäten den im Ausland operierenden iranischen Sicherheitskräften aufgefallen ist und dem Iran als ein ernsthafter Regimegegner erscheint. Die derzeitige Auskunftslage ergibt Folgendes: Die Missionierung unter Moslems ist im Iran strengstens verboten (ai, Gutachten v. 15.03.2001 an das OVG Lüneburg). Das hat nach Auskunft des Deutschen Orient-Instituts (Gutachten v. 31.03.1997 an VG Schleswig) seinen Grund darin, dass christliche Mission als solche nach dortigem Verständnis den Herrschaftsanspruch der im Iran regierenden Geistlichkeit in Frage stelle, für die es keine Trennung von Politik und Religion gebe. Der politische Machtanspruch der im Iran herrschenden Mullahs sei absolut. Dieser Machtanspruch sei religiös fundiert; die iranischen Machthaber fassten die Ausübung der politischen Macht als gleichsam natürliche Konsequenz ihrer Religion auf. Ein Ausbreiten von Religionsgemeinschaften in die muslimische Bevölkerung hinein würde den dort absolut bestehenden, auch politischen Führungsanspruch der Mullahs in Frage stellen (vgl. auch DOI, Gutachten v. 19.08.2000 an VG Gelsenkirchen). Nach islamischer Vorstellung sei die christliche Kirche für Christen eine Religionsgemeinschaft, für Muslime eine verbotene (politische) Organisation (DOI, Gutachten v. 22.11.2004 an VG Kassel). Das Deutsche Orient-Institut berichtet weiter, dass es hinsichtlich armenischer Christen, die zu den christlichen Kirchen/Gruppen gehörten, die aktiv zu missionieren versuchten, zu ganz gravierenden Schwierigkeiten gekommen sei und solche Schwierigkeiten auch heute jederzeit vorstellbar seien (vgl. DOI, Gutachten v. 26.02.1999 an VG Aachen). Das Auswärtige Amt hält staatliche Maßnahmen dann für wahrscheinlich, wenn die Mitglieder religiöser Gemeinschaften sich nach außen erkennbar missionarisch betätigen würden (Auskünfte v. 04.03.2002 an BAFl; v. 11.01.2001 an VG München; v. 29.12.2000 an VG München; Lagebericht v. 22.12.2004). Es seien Fälle bekannt, in denen konvertierte Moslems problemlos im Iran hätten leben können, in anderen Fällen wiederum seien Konvertierte hart bestraft worden (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 13.7.1999 an VG Regensburg). Ebenso geht amnesty international (Gutachten v. 19.06.2000 an VG Gelsenkirchen) davon aus, dass Konvertiten, die missionarische Tätigkeiten entfalten würden, in besonderem Maße gefährdet seien. amnesty international berichtet jedoch auch, dass ihm in den vergangenen Jahren keine neuen Fälle von Verfolgungsmaßnahmen der iranischen Behörden gegen Personen, die im Iran vom islamischen Glauben zum christlichen Glauben konvertiert seien, bekannt geworden seien, sieht den Grund allerdings darin, dass Glaubensübertritte im Iran aus den genannten Gründen nur selten stattfänden und häufig geheimgehalten würden. Das Auswärtige Amt (Auskunft v. 15.12.2004 an Sächs. OVG) hingegen berichtet, dass im Mai 2004 ein Pastor und seine Familie anlässlich eines Treffens mit Gläubigen in seinem Haus festgenommen worden sei. Andere anwesende Personen seien unbehelligt geblieben. Die Inhaftierten seien nach 10 Tagen mit anderen, bereits im April 2004 festgenommenen Angehörigen der Glaubensgemeinschaft "Assembly of God", deren Mitglieder aggressiv und offen missionieren würden, wieder entlassen worden. Im Sommer 2004 seien 86 Teilnehmer eines Treffens der Reverenten und Priester der "Assembly of God" von iranischen Sicherheitskräften festgenommen worden. Nach kurzer Befragung seien bereits am gleichen Tag 76 Festgenommene entlassen worden, drei Tage später sei es zur Entlassung neun weiterer Personen gekommen. Das Deutsche Orient-Institut (Gutachten v. 04.11.2002 an Hamb. OVG) führt aus, es ließen sich in dem ihm vorliegenden Material keine Fälle belegen, in denen ausdrücklich wegen missionarischer Betätigung eine Verfolgung stattgefunden habe, allerdings spreche nach ihren Informationen wiederum alles dafür, dass dieser Vorwurf bei den christlichen Kirchen, die einer solchen Verfolgung unterliegen würden, unterschwellig stets mitspiele. Es laufe so, dass die Leute, wenn sie verhaftet würden, unterschreiben müssten, dass sie keine missionarische Betätigung durchführen werden. Solche Verhaftungen seien im November und Dezember 1997 erfolgt, 40 Mitglieder der Assembly of God-Church seien in Teheran verhaftet worden, es werde auch für den Juli 1997 von einer weiteren Verhaftung von 20 bis 30 Christen dieser Kirche berichtet.

Zwar berichten die oben genannten Auskünfte in keinem Fall von einer Verfolgung von Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland aktiv missioniert haben und in den Iran zurückgekehrt sind. Angesichts der bisherigen Rechtsprechung, die davon ausgeht, dass exponierte Missionierungsaktivitäten (Bay.VGH, Beschl. v. 05.03.1999, Az: 19 ZB 99.30678 - juris -; OVG Lüneburg, Urt. v. 26.10.1999, Az: 5 L 3180/99 - juris -; nach dem OVG Hamburg, Urt. v. 29.08.2003, 1 Bf 11/98.A mindestens in leitender Funktion) bzw. eine nach außen erkennbare missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position oder jedenfalls eine missionarische Tätigkeit, die sich aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls deutlich von einer sonstigen missionarischen Tätigkeit abhebt (so: Sächs. OVG, Urt. v. 04.05.2005 A 2 B 524/04), beachtlich wahrscheinlich unmittelbare staatliche Verfolgung auslösen, kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass solche Personen in jüngerer Vergangenheit überhaupt in den Iran zurückgekehrt sind.