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OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 06.12.2005 - 3 Bf 172/04 - asyl.net: M7996
https://www.asyl.net/rsdb/M7996
Leitsatz:

§§ 10 und 11 StAG sind auch auf vor dem 1.1.2005 gestellte Anträge auf Einbürgerung anwendbar; die Teilnahme an der Selbsterklärungskampagne "Auch ich bin ein PKK'er" schließt regelmäßig die Einbürgerung nach § 11 S. 1 Nr. 2 StAG aus.

 

Schlagwörter: Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Zuwanderungsgesetz, Entscheidungszeitpunkt, verfassungsfeindliche Bestrebungen, PKK, ERNK, Vereinsverbot, Unterzeichner, Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen, Zusicherung, Änderung der Sach- und Rechtslage
Normen: StAG § 10 Abs. 1; StAG § 11 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

§§ 10 und 11 StAG sind auch auf vor dem 1.1.2005 gestellte Anträge auf Einbürgerung anwendbar; die Teilnahme an der Selbsterklärungskampagne "Auch ich bin ein PKK'er" schließt regelmäßig die Einbürgerung nach § 11 S. 1 Nr. 2 StAG aus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 10 Abs. 1 StAG, da ihm die Einbürgerung gemäß § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG zu versagen ist (a).

a) Die für eine Anspruchseinbürgerung maßgebliche Sach- und Rechtslage ist die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (siehe dazu BVerwG, Beschl. v. 28.6.1985, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 151; Beschl. v.19.8.1996, InfAuslR 1996, 399; VGH Mannheim, Urteil vom 11.7.2002 - 13 S 1111/01, in juris; Beschl. v. 13.12.2004 - 13 S 1276/04, in juris; VGH München. Urt. v. 27.5.2003 - 5 B 00.1819, in juris).

Die Frage, ob der Kläger seine Einbürgerung beanspruchen kann, beurteilt sich mithin materiell nicht mehr nach dem Ausländergesetz vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354, 1356), das gemäß Artikel 15 Abs. 3 Nr. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I. S. 1950) am 31. Dezember 2004 außer Kraft getreten ist, sondern nach den mit Wirkung vom 1. Januar 2005 neu gefassten Vorschriften der §§ 10, 11 des Staatsangehörigkeitsgesetzes - StAG -, die die bis dahin für die Erteilung einer Anspruchseinbürgerung maßgeblichen Regelungen der §§ 85, 86 AuslG abgelöst haben (siehe Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl. I S. 1950; diese Fassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes wurde zuletzt durch das Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und weiterer Gesetze vom 14. März 2005 (BGBl. I. S. 721) geändert).

Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG besteht nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die - unter anderem - gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung solcher Bestrebungen abgewandt hat. Die Voraussetzungen dieses Ausschlussgrundes sind im vorliegenden Fall gegeben, weil der Kläger im Juni 2001 eine so genannte Selbsterklärung mit der Überschrift "Auch ich bin ein PKK’ler" unterschrieben hat.

aa) Die Sicherheit des Bundes oder eines Landes im Sinne dieser Bestimmung ist enger zu verstehen als die öffentliche Sicherheit nach allgemeinem Polizeirecht. Sie umfasst die innere und äußere Sicherheit (vgl. Legaldefinition in § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB) und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.3.2005, dort zu § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG, NVwZ 2005, 1091).

Die PKK hat noch im Juni 2001 Bestrebungen verfolgt, die gegen die Sicherheit des Bundes gerichtet gewesen sind.

Anhaltspunkte dafür, dass sich die PKK entscheidend gewandelt hätte und die Verbotsgründe im Juni 2001 nicht mehr bestanden, liegen nicht vor.

bb) Der Kläger hat die gegen die Sicherheit des Bundes gerichteten Bestrebungen der PKK unterstützt. Als tatbestandserhebliches Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist jede Tätigkeit anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung auswirkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.3.2005, DVBl. 2005, 1203, dort zu § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG, m.w.N.). Dazu zählt jedes Tätigwerden auch eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer inkriminierten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es dabei nicht an. Allerdings muss es für den Ausländer grundsätzlich erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, dass sein Handeln die Vereinigung und ihre Bestrebungen unterstützt. An einem Unterstützen fehlt es, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung der inkriminierten Ziele befürwortet und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung der inkriminierten Bestrebungen zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG vor. Die Freiheit der Meinungsäuße-rung ist insoweit beschränkt (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 15.3.2005, a.a.O., m.w.N.).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger mit dem Unterschreiben der Selbsterklärung missbilligte Bestrebungen der PKK im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG unterstützt. Die Unterzeichner der so genannten Selbsterklärung mögen zwar vorrangig Freiheit und Selbstbestimmung für das kurdische Volk gefordert und die Überprüfung des Verbots der Betätigung für die PKK sowie dessen Aufhebung verlangt haben. Es ist den Unterzeichnern aber auch darum gegangen, unter allen Umständen, also gerade auch für den zu erwartenden Fall, dass es bei dem Verbot verbliebe, durch die - massenhafte - Selbstfestlegung, das Verbot auch künftig nicht zu beachten, die Solidarität mit der PKK selbst zu stärken und einen Beitrag zur Fortführung ihrer Tätigkeit zu leisten. Solche Selbstfestlegungen verschaffen den Verantwortlichen der PKK nämlich Planungsgrundlagen für künftige Aktionen und erleichtern ihnen die Fortsetzung der verbotenen Vereinstätigkeit und damit auch der inkriminierten Bestrebungen. Zudem gibt jeder Unterzeichner durch die Beteiligung an einer groß angelegten Selbstbekenntnisaktion auch anderen kurdischen Landsleuten, die der Sache der PKK nahe stehen, einen Anstoß, sich ihrerseits anzuschließen. Weiter bewirkt die Teilnahme an dieser Aktion, dass es einzelnen Mitgliedern und Sympathisanten bei künftig verbotenen Aktivitäten leichter fallen wird, die Schwelle zur Strafbarkeit zu überschreiten, da sie bei einer erfolgreich verlaufenen Kampagne die Gewissheit erlangen können, nicht allein zu stehen (vgl. BGH, Urt. v. 27.3.2003, NJW 2003, 2621).

cc) Der Kläger hat schließlich nicht nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG glaubhaft gemacht, dass er sich von seiner früheren Unterstützung der Bestrebungen der PKK abgewandt hätte.

Für ein Abwenden genügt ein bloß äußeres - zeitweiliges oder situationsbedingtes - Unterlassen der Unterstützungshandlungen nicht. Der Umstand, dass der Kläger seit Juni 2001 nicht durch weitere Aktivitäten im Umfeld der PKK aufgefallen ist, kann dem Kläger allein nicht zum Erfolg verhelfen, ferner nicht seine Behauptung, wegen seiner familiären Verpflichtungen keine Zeit mehr für ein politisches Engagement zu haben. Vielmehr ist die Glaubhaftmachung eines individuellen Lernprozesses erforderlich, der annehmen lässt, dass mit hinreichender Gewissheit zukünftig die Verfolgung oder Unterstützung inkriminierter Bestrebungen - auch in Ansehung der durch eine Einbürgerung erworbenen Rechtsposition - auszuschließen ist (vgl. VGH München, Beschl. v. 13.7.2005 - 5 ZB 05.901, in juris; Urt. v. 27.5.2003 - 5 B 01.1805, in juris; Urt. v. 27.5.2003 - 5 B 00.1819, in juris; VGH Mannheim, Urt. v. 11.7.2002. a.a.O.: Berlit in: GK-StAR, § 86 AuslG, Rdnr. 143). Die Glaubhaftmachung einer veränderten Auffassung verlangt angesichts der nur schwer zu fassenden Anhaltspunkte aus der (inneren) Sphäre des Ausländers und der ihn treffenden materiellen Beweislast eine substantiierte Darlegung von Umständen, die den nachvollziehbaren Schluss auf eine geänderte innere Einstellung zulässt. Die an die Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen hängen von Art und Gewicht des eigenen Beitrags sowie der zuvor verfolgten bzw. unterstützten Bestrebungen ab (vgl. VGH München, Beschl. v. 13.7.2005 - 5 ZB 05.901, in juris; Berlit in: GK-StAR, § 86 AuslG, Rdnr. 147).

Das Vorbringen des Klägers lässt keine Anhaltspunkte erkennen, die ein Abwenden in dem geschilderten Sinne begründen könnten. Um eine geänderte innere Einstellung glaubhaft zu machen, ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Kläger einräumt oder zumindest nicht bestreitet, die PKK früher unterstützt zu haben (vgl. auch VGH Mannheim, Urt. v.11.7.2002, a.a.O.).

Der Kläger macht schließlich nicht geltend, sich von seiner Unterstützung der Bestrebungen der PKK abgewandt zu haben, indem er einen kollektiven Lernprozess mitgetragen habe (vgl. VGH München, Urt. v. 27.5.2003 - 5 B 01.1805, in juris). Es braucht nicht geklärt zu werden, ob die PKK gegenwärtig noch Bestrebungen verfolgt, die die Sicherheit des Bundes im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG gefährden (siehe dazu im Übrigen den Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 17. Oktober 2005, mit dem die PKK in der Liste der terroristischen Organisationen belassen worden ist <siehe Anhang unter 2. Nr. 22 zu dem Gemeinsamen Standpunkt 2005/727/GASP des Rates vom 17.10.2005 zur Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2005/427/GASP, ABl 2005 L 272, S. 28>). Denn dieser Frage müsste nur dann nachgegangen werden, wenn der Kläger behauptet, dass er einen etwaigen Lernprozess innerhalb der PKK mitgetragen hätte. Dies ist jedoch nicht geschehen.