VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 24.10.2005 - 4 K 3236/04 - asyl.net: M8012
https://www.asyl.net/rsdb/M8012
Leitsatz:
Schlagwörter: Feststellungsklage, Feststellungsinteresse, Festnahme, unerlaubter Aufenthalt, Haftbefehl, Beschleunigungsgebot, Abschiebung
Normen: VwGO § 43 Abs. 1; HmbSOG § 13 Abs. 1 Nr. 2; FEVG § 13 Abs. 1; AuslG § 57; AuslG § 92 Abs. 1; GG Art. 104 Abs. 2; HmbSOG § 13a Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zulässig und begründet.

Die Klage ist begründet, da die im Tenor bezeichnete Inhaftierung des Klägers rechtswidrig war.

Als Ermächtigungsgrundlage für den vor der Abschiebehaft liegenden "Verwaltungsgewahrsam" kommt hier nach Auffassung des Gerichts allein § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG in Betracht.

Vieles spricht dafür, dass der Kläger durch seine Passlosigkeit und den illegalen Aufenthalt in Deutschland nach der Rückführung die im November 2003 gültigen Strafvorschriften des § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG zumindest hinsichtlich des objektiven Tatbestandes verwirklicht hat und dass dies für die Inhaftierung zur Gefahrabwendung im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG angesichts der Vorgeschichte des Klägers ausreicht. Die genauen Anforderungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG können jedoch dahin stehen.

Denn die Beklagte hätte bereits vor der auf § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG gestützten Inhaftierung des Klägers eine richterliche Entscheidung einholen müssen bzw. hat nach in elementarer Weise gegen das Gebot verstoßen, so schnell wie möglich nach einer auf § 13 Abs. 1 HmbSOG gestützten Festnahme eine richterliche Anordnung über die Freiheitsentziehung herbeizuführen, wie Art. 104 Abs. 2 GG und § 13 a Abs. 1 HmbSOG es gebieten.

Nach Auffassung des Gerichts wäre es möglich gewesen, schon vor der Festnahme eine richterliche Entscheidung einzuholen, so dass ein vorbereitender Gewahrsam nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 HmbSOG nicht erforderlich gewesen wäre. Es genügt nicht, eine vorbeugende Inhaftierung wie die nach § 13 Abs. 1 HmbSOG als Regelfall anzusehen und die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen, da ein Gewahrsam ohne vorherige richterliche Entscheidung nur in den Ausnahmefällen zulässig ist, in denen eben kein Haftbefehl vorher erwirkt werden kann (ebenso OLG Celle, Beschluss vom 11.2.2004, 17 W 109/03; Bl. 135 ff. d.A.) bzw. wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck sonst nicht erreichbar gewesen wäre (BVerfG, Beschluss vom 15.5.2002, 2 BvR 2292/00, BVerfGE 105, 239 ff.; OLG Oldenburg vom 3.5.2004, 13 W 18/04; Bl. 148 ff. d.A.). Beide Ausnahmekonstellationen liegen nicht vor. Der Beklagten war bereits am Vortag bekannt, dass der Kläger nach seiner Rückführung festgenommen werden sollte, um die baldige Abschiebung in sein Heimatland zu ermöglichen.

Ferner liegt ein erheblicher Verstoß gegen das aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG und § 13 a Abs. 1 Satz 1 HmbSOG resultierende Beschleunigungsgebot vor, da nach der Inhaftierung des Klägers ohne vorherige richterliche Entscheidung diese nicht zumindest unverzüglich eingeholt wurde. "Unverzüglich" ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG, Beschluss vom 15.5.2002, a.a.O., m.w.N.). Die Beklagte geht fehl in der Einschätzung, ihr bliebe regelmäßig ein Zeitraum von 24 Stunden bis zur Herbeiführung der richterlichen Entscheidung über die Gewahrsamnahme einer Person. Dieser sich aus Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG ergebende Zeitrahmen kennzeichnet die äußerste Grenze, innerhalb derer die richterliche Entscheidung über eine Freiheitsentziehung herbeigeführt worden sein muss, sie befreit aber nicht von der Einhaltung des Beschleunigungsgebotes des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG (BVerfGE vom 15.5.2002, a.a.O.).