VG Neustadt a.d.W.

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Zitieren als:
VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 08.03.2006 - 3 K 2130/05.NW - asyl.net: M8014
https://www.asyl.net/rsdb/M8014
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Flüchtlingsanerkennung, Widerruf, Genfer Flüchtlingskonvention, Anerkennungsrichtlinie, Wegfall-der-Umstände-Klausel, Sicherheitslage, Schutzfähigkeit, zwingende Gründe, allgemeine Gefahr, Abschiebungsstopp, Erlasslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; GFK Art. 1 C Nr. 5; AsylVfG § 73 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 11 Abs. 1 Bst. e
Auszüge:

Der Widerruf der Feststellungen, dass in Bezug auf den Irak die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie des § 53 AuslG vorliegen, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ferner steht dem Kläger weder ein Anspruch auf Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu.

Der angefochtene Widerrufsbescheid der Beklagten vom 16. November 2005 findet seine Rechtsgrundlage in § 73 Abs. 1 AsylVfG in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung.

Die Frage, ob § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (Wegfall der Voraussetzungen) im Lichte des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 C Nr. 5 GFK in der Interpretation durch den UNHCR auszulegen ist und es nicht allein auf den dauerhaften politischen Systemwechsel und den Wegfall der früheren politischen Verfolgung, sondern auch auf stabile Verhältnisse im Sinne eines effektiven Schutzes durch Polizei und Justiz sowie auf eine ausreichende Infrastruktur und ein Recht auf eine Existenzgrundlage im Herkunftsland ankommt (s. UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 C Nr. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 - "Wegfall der Umstände"-Klausel, NVwZ-Beilage Nr. I 8/2003), ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 2004 - 1 C 22/03 -, und vom 1. November 2005 - 1 C 21/04 -, jeweils juris) geklärt.

Der Einwand des Kläger-Vertreters, dass die vorstehend zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. November 2005, der ein Fall des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung eines afghanischen Staatsangehörigen zugrunde lag, nicht auf irakische Verhältnisse übertragbar sei, greift nicht durch. Denn die durch das Bundesverwaltungsgericht in seiner vorstehenden Entscheidung vorgenommene Auslegung, was unter "Wegfall der Umstände" und "Schutz des Landes" im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK zu verstehen ist, ist unabhängig davon erfolgt, zu welchem Land diese Entscheidung ergangen ist.

Im Falle des Irak stellt der Sturz des Regimes Saddam Husseins eine nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse (Wegfall der Umstände) dar, der zum Widerruf berechtigt und auch verpflichtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 2004, a.a.O.). Denn dieses die Verfolgung bewirkende Regime ist beseitigt und eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.

Auch aus § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten herleiten. Nach dieser Bestimmung ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Gegen allgemeine Gefahren schützt diese Vorschrift jedoch nicht (BVerwG, a. a. O.).

Dem Kläger droht auch nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung.

Soweit sich der Kläger auf die mangelnde Schutzfähigkeit des irakischen Staates beruft, bezieht er sich auf Gefahren, denen die Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist. Dies steht nach der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen.

Der Auffassung der vom Kläger noch erwähnten Rechtsprechung des VG Köln - 18 K 4074/04.A - ([Asylmagazin 7 - 8/2005, 43 ff.]; - 18 K 3217/04) und des VG Sigmaringen (Urteil vom 26. Oktober 2005 - A 3 K 11212/04) zur Frage der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung irakischer Staatsangehöriger folgt das Gericht nicht.

Die Klage bleibt auch erfolglos, soweit der Kläger die Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt.

Denn das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Rheinland-Pfalz hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 11. Juli 2005 (Az.: 19 440/316 Irak) darauf hingewiesen, dass die Ständige Innenministerkonferenz der Länder sich in ihrer Sitzung am 24. Juni 2005 erneut mit der Rückführung von irakischen Staatsangehörigen befasst und ihre bisherige Beschlusslage nochmals bekräftigt habe.