SG Nordhausen

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Zitieren als:
SG Nordhausen, Beschluss vom 17.03.2006 - S 15 AY 473/06 ER - asyl.net: M8021
https://www.asyl.net/rsdb/M8021
Leitsatz:

Keine rechtsmissbräuchliche Verlängerung des Aufenthalts i.S.d. § 2 Abs. 2 AsylbLG allein durch Verweigerung der freiwilligen Ausreise; einstweilige Anordnung trotz Vorwegnahme der Hauptsache, da Abwarten der Hauptsacheentscheidung wegen geringer Leistungen nach §§ 1 und 3 AsylbLG nicht zuzumuten ist.

 

Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Duldung, Rechtsmissbrauch, Aufenthaltsdauer, freiwillige Ausreise, Irak, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Keine rechtsmissbräuchliche Verlängerung des Aufenthalts i.S.d. § 2 Abs. 2 AsylbLG allein durch Verweigerung der freiwilligen Ausreise; einstweilige Anordnung trotz Vorwegnahme der Hauptsache, da Abwarten der Hauptsacheentscheidung wegen geringer Leistungen nach §§ 1 und 3 AsylbLG nicht zuzumuten ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Antragsteller begehren die Regelung eines von ihnen gewünschten Zustandes im Wege des einstweiligen Anordnung.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich aus § 2 Abs. 2 AsylbLG.

Die Antragsteller haben auch nicht die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Das Gericht hat angesichts der vorgelegten aktuellen Reisewarnung des Auswärtigen Amtes sowie der allgemein bekannten, mindestens bürgerkriegsähnlichen Zustände im Irak bereits Zweifel an der Zumutbarkeit der freiwilligen Rückkehr der Antragsteller.

Darauf kommt es jedoch nach Ansicht des Gerichts nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass das Gesetz nach seinem ausdrücklichen Wortlaut eben nicht nur eine bloße Beeinflussung der Aufenthaltsdauer verlangt, die bei Nichtbefolgen der bestehenden Ausreisepflicht sicher vorliegen würde, sondern diese darüber hinaus rechtsmissbräuchlich sein muss. Rechtsmissbrauch setzt aber bereits vom Wortsinn her ein über bloßes Verschulden hinausgehendes Unwerturteil voraus.

Dafür kann das Gericht bei den Antragstellern jedoch keine Anhaltspunkte erkennen. Es werden von dem Antragsgegner auch keine solchen geltend gemacht. Den Antragstellern wurden vielmehr durch die Ausländerbehörde des Antragsgegners Duldungen erteilt, nicht weil sie persönlich gegen die bestehende Ausreisepflicht aktiv geworden wären (zum Beispiel durch Vorspiegelung falscher Identität/wahrheitswidrige Angaben etc.) oder die Mitwirkung verweigerten, sondern weil die Zustände in dem potentiellen Rückkehrland eine Abschiebung offenbar auch nach Ansicht des Antragsgegners verbieten. Solange dies aber der Fall ist (wovon so lange auszugehen sein dürfte, wie aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht tatsächlich vorgenommen, sondern weiter Duldungen erteilt werden), nutzen die Antragsteller nur eine ihnen unabhängig von eigenem Fehlverhalten eingeräumte Rechtsposition. Das ist nicht rechtsmissbräuchlich.

Es liegt auch ein Anordnungsgrund in Form besonderer Eilbedürftigkeit vor. Das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache steht dem hier nicht entgegen, weil anders effektiver Rechtsschutz nicht zu erreichen ist. Angesichts der erheblich unter dem Sozialhilfeniveau liegenden Leistungen nach §§ 1, 3 AsylbLG ist den Antragstellern ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten. Insbesondere könnten die Folgen dieses Zuwartens nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, weil das tatsächliche Leben unter erheblich eingeschränkten Bedingungen auch durch eine Nachzahlung nicht geändert werden könnte. Angesichts der überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache (vgl. die Ausführungen zum Anordnungsanspruch) muss das Risiko ungerechtfertigter Leistungserbringung und möglicher Uneinbringlichkeit einer Rückforderung auf Seiten des Antragsgegners dem gegenüber zurückstehen.