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Zitieren als:
EGMR, Urteil vom 25.10.2005 - 59140/00 - asyl.net: M8032
https://www.asyl.net/rsdb/M8032
Leitsatz:

Die Versagung von Kindergeld an Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis verstieß gegen das Diskrimierungsverbot des Art. 14 EMRK.

 

Schlagwörter: Kindergeld, Aufenthaltsbefugnis, Diskriminierungsverbot, Gleichheitsgrundsatz
Normen: EMRK Art. 14; EMRK Art. 8; BKGG § 1 Abs. 3; EStG § 62 Abs. 2
Auszüge:

Die Versagung von Kindergeld an Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis verstieß gegen das Diskrimierungsverbot des Art. 14 EMRK.

(Leitsatz der Redaktion)

 

26. Die Beschwerdeführer rügten, dass die Versagung des Kindergelds seit Januar 1994 durch die deutschen Behörden eine Diskriminierung darstelle.

31. Wie der Gerichtshof mehrfach ausgeführt hat, kommt Artikel 14 zum Tragen, wenn der "Gegenstand des Nachteils … eine der Bedingungen für die Ausübung eines garantierten Rechts darstellt" oder die gerügten Maßnahmen "mit der Ausübung eines garantierten Rechts" verbunden sind (vgl. Rechtssachen Petrovic, a. a. O., Nr.28; Syndicat National de la Police Belge ./. Belgien, Urteil vom 27. Oktober 1975, Serie A Bd. 19, Nr. 45; Schmidt und Dahlström ./. Schweden, Urteil vom 6. Februar 1976, Serie A , Bd. 21, Nr. 39).

32. Durch die Gewährung von Kindergeld können die Staaten unter Beweis stellen, dass sie das Familienleben im Sinne des Artikels 8 der Konvention achten; das Kindergeld fällt deshalb in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung (vgl. sinngemäß Rechtssache Petrovic, a. a. O., Nr. 30). Daraus folgt, dass Artikel 14 - in Verbindung mit Artikel 8 - in der vorliegenden Rechtssache anwendbar ist.

33. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine unterschiedliche Behandlung im Sinne von Artikel 14 der Konvention diskriminierend, wenn es für sie "keine objektive und angemessene Rechtfertigung gibt", d.h. wenn mit ihr kein "legitimes Ziel" verfolgt wird oder "die eingesetzten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen". Die Vertragsstaaten haben einen gewissen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit Unterschiede bei ansonsten ähnlichen Situationen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (vgl. u. a. Rechtssache Willis, a. a. O., Nr. 39).

34. Der Gerichtshof ist nicht aufgefordert, grundsätzlich zu entscheiden, inwieweit es gerechtfertigt ist, bei Sozialleistungen zwischen Inhabern verschiedener Arten von Aufenthaltsgenehmigungen zu unterscheiden. Der Gerichtshof muss sich vielmehr auf die Frage beschränken, ob das deutsche Kindergeldrecht, wie es im vorliegenden Fall angewandt wurde, die Reche der Beschwerdeführer aus der Konvention verletzt hat. Der Gerichtshof erkennt wie das Bundesverfassungsgericht in den Musterverfahren (vgl. Nr. 18, oben) keine hinreichenden Gründe zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Ausländern bei dem Kindergeldbezug in Abhängigkeit davon, ob sie über eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung verfügten oder nicht. Folglich ist Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention verletzt worden.