VG Saarland

Merkliste
Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 03.03.2006 - 2 K 34/06.A - asyl.net: M8041
https://www.asyl.net/rsdb/M8041
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak.

 

Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Jesiden, religiös motivierte Verfolgung, Gruppenverfolgung, interne Fluchtalternative, Nordirak, Sicherheitslage, Kriminalität, zwingende Gründe, Integration, Versorgungslage, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

Keine Gruppenverfolgung von Yeziden im Irak.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

Rechtsgrundlage für den mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ist die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Eine derart grundlegende, zum Widerruf berechtigende und verpflichtende nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stellt die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung der politischen Verhältnisse im Irak dar.

Es besteht auch kein greifbarer Anhalt für die Annahme, dass der Kläger als Yezide Verfolgungsmaßnahmen durch Angehörige der schiitischen oder sunnitischen Glaubensrichtung befürchten müsste. Zwar hat sich seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein die Situation von Angehörigen religiöser Minderheiten insgesamt spürbar verschlechtert, und sind von dieser Verschlechterung insbesondere auch die Yeziden im ehemaligen zentralirakischen Gebiet betroffen.

Wenngleich danach auch von einer erhöhten Gefährdung der Yeziden seit dem Sturz des Saddam-Regimes auszugehen ist, sind die dokumentierten Übergriffe gegen yezidische Religionszugehörige gemessen an der Gesamtzahl der im Irak lebenden Yeziden, die Schätzungen zufolge zwischen 200.000 und 600.000 liegt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 24.11.2005 a.a.O.), zahlenmäßig aber doch zu gering, als dass von einer Verfolgungslage gesprochen werden könnte, aufgrund der jeder Yezide allein schon wegen seiner Glaubenszugehörigkeit mit politischer Verfolgung rechnen müsste. Hinzu kommt, dass sich die Übergriffe gegen Yeziden ganz überwiegend im früheren zentralirakischen Herrschaftsgebiet ereignet haben, während die yezidische Bevölkerung in dem unter kurdischer Verwaltung stehenden Nordirak weitgehend unbehelligt geblieben ist (vgl. dazu Deutsches Orient-Institut, Gutachten an VG Köln vom 14.02.2005 a.a.O. sowie amnesty international, Gutachten an VG Köln vom 16.08.2005 a.a.O.), so dass selbst bei Annahme einer regionalen Gruppenverfolgung insoweit eine inländische Fluchtalternative für Yeziden bestünde.

Die sich aufgrund der angespannten Sicherheitslage im Irak ergebenden allgemeinen Gefahren stehen dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht entgegen. Derartige Gefahren werden von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ebenso wenig erfasst wie von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, der seinem Inhalt nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entspricht und sich ebenfalls ausschließlich auf den Schutz vor erneuter politischer Verfolgung bezieht (anders offenbar die UNHCR-Hinweise zur Anwendung des Art. 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention ("Wegfall der Umstände"-Klausel) auf irakische Flüchtlinge vom April 2005, wo u.a. das "Vorhandensein einer angemessenen Infrastruktur" verlangt wird, "innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte ausüben können, einschließlich ihres Rechts auf eine Existenzgrundlage").

Auch aus § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten herleiten. Nach dieser Vorschrift ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GFK nachgebildete Regelung enthält eine individuelle Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft, die unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gilt. Von einem Widerruf ist dann abzusehen, wenn sich aus dem konkreten Flüchtlingsschicksal besondere Gründe ergeben, die eine Rückkehr unzumutbar erscheinen lassen. Maßgeblich sind somit Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen, wobei zwischen der früheren Verfolgung und der Unzumutbarkeit der Rückkehr ein kausaler Zusammenhang bestehen muss. Dagegen schützt auch diese Vorschrift nicht gegen allgemeine Gefahren. Ebenso wenig können aus ihr allgemeine, von den gesetzlichen Voraussetzungen losgelöste Zumutbarkeitskriterien hergeleitet werden, die einem Widerruf der Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung entgegenstehen.

Den mit Blick auf seine weitreichende Integration in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Belangen des Klägers, wie etwa auch der von ihm angesprochene Erwerb einer Immobilie, ist nicht im Rahmen der Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, sondern gegebenenfalls im Einzelfall durch das Ausländerrecht und die dadurch vermittelten Bleiberechte Rechnung zu tragen (vgl. dazu auch OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 30.03.2005 a.a.O. und vom 26.08.2005 a.a.O.).

Schließlich kann der Kläger auch nicht die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen.

Für eine konkret-individuelle Gefährdung des Klägers besteht nach den aufgezeigten Gegebenheiten kein greifbarer Anhaltspunkt. Dem Kläger kann auch nicht wegen allgemeiner, im Irak bestehender Gefahren aufgrund der angespannten Sicherheitslage Abschiebungsschutz unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährt werden, da insoweit die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entgegen steht.