VG München

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Zitieren als:
VG München, Gerichtsbescheid vom 17.10.2005 - M 8 K 05.51194 - asyl.net: M8070
https://www.asyl.net/rsdb/M8070
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, Genfer Flüchtlingskonvention, Wegfall-der-Umstände-Klausel, UNHCR, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft, Sicherheitslage, allgemeine Gefahr
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; GFK Art. 1 C 5
Auszüge:

Die Voraussetzungen für den Widerruf der Statusentscheidung nach Maßgabe des § 73 Abs. 1 AsylVfG liegen nicht vor, weil sich die Verhältnisse im Herkunftsland noch nicht grundlegend, dauerhaft und stabil verändert haben und weder die irakische Regierung noch eine sonstige legitimierte Verwaltung derzeit in der Lage ist, den Klägern effektiven Schutz zu gewähren.

Nach Ansicht des Gerichts erfordert der rechtmäßige Widerruf einer Statusentscheidung indes nicht nur, dass der Flüchtling vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, deretwegen er sein Heimatland verlassen hat (so aber VGH Baden-Württemberg vom 16.3.2004 - A 6 S 219/04 - AuAS 2004, 142 und BayVGH vom 6.8.2004 - 15 ZB 04.30565 - InfAuslR 2005, 43). Vielmehr muss hinzukommen, dass der betroffene Flüchtling "nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt" (Art. 1 C Nr. 5 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - GFK).

Dabei teilt das Gericht zwar die Ansicht des VGH Baden-Württemberg, dass Art. 1 C GFK keine Regelung über den Widerruf des Flüchtlingsstatus trifft (Beschluss vom 16.3.2004, a.a.O.; vgl. auch Absatz 117 des Handbuchs über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Genf, September 1979, nichtamtliche Übersetzung, Neuauflage UNHCR Österreich, Dezember 2003 - Handbuch UNHCR). Diese Feststellung kann aber nicht in Frage stellen, dass die Beendigungsklauseln des Art. 1 C GFK die Umstände definieren, unter denen ein Flüchtling aufhört, ein Flüchtling zu sein (Abs. 111 Handbuch UNHCR) und dass die einmal zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (vgl. § 2 und § 3 AsylVfG) bestehen bleibt, es sei denn, eine der Beendigungsklauseln würde auf die Person anwendbar werden (Abs. 112 Handbuch UNHCR). Der Verlust des Asylrechts bzw. der positiven Entscheidung nach § 60 Abs. 1 AufenthG (bzw. § 51 Abs. 1 AuslG) aufgrund einer Widerrufsentscheidung würde, wollte man die Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ohne gleichzeitige Anwendung der Beendigungsklauseln des Art. 1 C GFK interpretieren, dazu führen, dass die einmal von der Bundesrepublik Deutschland zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (§ 2 und § 3 AsylVfG) fortbestünde, obschon das Asylrecht entfallen wäre. Ein solches (nachträgliches) Auseinanderfallen von Asylanerkennung bzw. Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Flüchtlingseigenschaft hat der Gesetzgeber aber nicht gewollt, da die Regelung des Widerrufs nach der Gesetzesbegründung weitgehend den Regelungen in Nummern 5 und 6 des Art. 1 C GFK entsprechen sollte (BT-Drucks. 9/875, S. 18 zu § 11; die nachfolgenden Änderungen haben an dieser Intention nichts geändert).

Erforderlich ist damit nicht nur der Wegfall der Fluchtgründe, welche zur Asylanerkennung bzw. zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (bzw. § 51 Abs. 1 AuslG) und damit zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, sondern auch, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsland grundlegend, dauerhaft und stabil geändert haben, insbesondere auch, dass der Flüchtling tatsächlich den Schutz seines Herkunftslandes in Anspruch nehmen kann und dass ein solcher Schutz wirksam und verfügbar sein muss (vgl. UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz - "Wegfall der Umstände"-Klauseln, abgedr. in NVwZ Beilage I 8/2003 sowie UNHCR-Hinweise zur Anwendung des Art. 1 C (5) der Genfer Flüchtlingskonvention vom April 2005). Daran fehlt es derzeit im Irak (s. u.).

Nach Ansicht des Gerichts haben sich die Verhältnisse im Irak weder hinreichend stabil verändert noch ist die irakische Regierung oder eine legitimierte Organisation oder Schutzmacht dazu in der Lage, der irakischen Bevölkerung effektiven Schutz zu gewähren.