SG Halle

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Zitieren als:
SG Halle, Beschluss vom 10.04.2006 - S 13 AY 12/06 ER - asyl.net: M8084
https://www.asyl.net/rsdb/M8084
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Aufenthaltsdauer, Rechtsmissbrauch, freiwillige Ausreise, Duldung, Asylantrag, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Eilbedürftigkeit
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AsylbLG § 2 Abs. 1
Auszüge:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragsteller haben ab dem 27.02.2006 einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung.

Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Ein Rechtsmissbrauch kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Ausländer lediglich ihrer bestehenden Ausreisepflicht nicht nachkommen und somit die Rechtsposition der Duldung nutzen. Der Staat kann dem mit Abschiebungsmaßnahmen hinreichend begegnen.

Von einem Rechtsmissbrauch, d.h. einer missbräuchlichen Ausnutzung von Rechten und Vorschriften, kann vielmehr erst dann ausgegangen werden, wenn Ausländer versuchen, eine Rechtsposition unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu erlangen und auszunutzen. Etwa, indem sie falsche Angaben machen, um einer Abschiebung zu entgehen und so ihren Aufenthalt zu verlängern, beispielsweise, wenn sie eine falsche Identität vorspiegeln und/oder wahrheitswidrige Angaben zu ihrer Herkunft machen bzw. diese Daten verschweigen, sog. Scheinehen eingehen oder, um eine Duldung zu erzwingen, bei der Beschaffung von notwendigen Reisedokumenten nicht mitwirken bzw. vorhandene Reisepässe und andere Identitätspapiere zurückhalten oder gar vernichten (vgl. auch die Beispiele in der BT-Drucksache 14/7387, S. 112, zu Art-8 Nr. 3).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor und sind selbst von dem Antragsgegner nicht behauptet worden. Allein die Ausnutzung einer Rechtsposition (die Stellung von Asylanträgen und die Geltendmachung einer posttraumatischen Belastungsstörung) können nicht als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer ihres Aufenthaltes angesehen werden. Auch der Verzicht der Antragsteller auf eine freiwillige Ausreise ist nicht als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer ihres Aufenthaltes zu werten. Zwar sind sie zur Ausreise verpflichtet, weil sie keinen Aufenthaltstitel besitzen. Durch die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) ist es den Antragstellern jedoch erlaubt, sich vorübergehend, trotz bestehender Ausreisepflicht in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten, weil der Vollzug der Ausreisepflicht zeitweilig ausgesetzt ist. Allein die Nutzung dieser Rechtsposition (Duldung) kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht begründen, wenn die Dauer des Aufenthaltes nicht auf rechtlich oder tatsächlich zu beanstandendem Verhalten der Antragsteller beruht. Hierfür bestehen derzeit keine Anhaltspunkte.

Angesichts der Tatsache, dass ein Anordnungsanspruch offensichtlich gegeben ist, sind keine strengen Anforderungen an den Anordnungsgrund mehr zu steifen (Meyer-Ladewig, § 86 b RdNr. 29). Hier ist es den Antragstellern nicht zumutbar, bis zur Entscheidung des Widerspruchsverfahrens mit dem gekürzten Regelsatz zu leben.