OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.03.2006 - 18 B 787/05 - asyl.net: M8093
https://www.asyl.net/rsdb/M8093
Leitsatz:
Schlagwörter: Duldung, Erwerbstätigkeit, Nebenbestimmungen, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Ermessen, Integration, Privatleben, Abschiebungshindernis
Normen: AufenthG § 4 Abs. 3; AufenthG § 42 Abs. 2 Nr. 5; BeschVerfV § 10; BeschVerfV § 11; VwGO § 123; AufenthG § 25 Abs. 5; EMRK Art. 8
Auszüge:

Zunächst ist klarstellend darauf hinzuweisen, dass der Senat den Antrag dahingehend versteht, dass beantragt wird, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig - bis zur Entscheidung in der Hauptsache - zu verpflichten, die den Antragstellern erteilten Duldungen dahin zu erweitern, dass dem Antragsteller zu 1. die Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit bei der Firma D. Q. E. und der Antragstellerin zu 2. die Fortsetzung ihrer Erwerbstätigkeit bei der Firma "B1. T1." erlaubt wird.

Nach § 10 BeschVerfV kann geduldeten Ausländern unter den dort genannten Voraussetzungen die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden. Die Entscheidung hierüber steht im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde. Bei dessen Ausübung hat sie vornehmlich einwanderungspolitische Interessen zu berücksichtigen, die vor allem auch darin bestehen, eine weitere Aufenthaltsverfestigung etwa durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu verhindern. Hierzu sei auf die Entstehungsgeschichte der §§ 10 f. BeschVerfV verwiesen. Nach der Verordnungsbegründung wird mit den Versagungsgründen des § 11 BeschVerfV die Regelung des § 5 Nr. 5 ArGV fortgeführt und somit an die überkommene Rechtslage angeknüpft (vgl. den Text der Verordnungsbegründung unter www.aufenthaltstitel.de/beschverfvinfos.html).

Unter dieser war anerkannt, dass das behördliche Anliegen, einer tatsächlichen Verfestigung des Aufenthalts eines geduldeten Ausländers entgegenzuwirken, es rechtfertigt, ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu untersagen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. November 2005 - 17 B 1485/05 Asylmagazin 1-2/2006, 35; ferner auch VGH BW, Beschluss vom 25. September 2003 - 11 S 1795/03 -, InfAuslR 2004, 70 = EZAR 025 Nr. 27).

Hierbei handelt es sich um einen Umstand, den die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer von § 10 BeschVerfV geforderten Ermessensentscheidung auch berücksichtigen darf, wenn die Voraussetzungen des § 11 BeschVerfV nicht vorliegen (vgl. hierzu Fehrenbacher, HTK-AuslR/§ 10 BeschVerfV 12/2005 Nr. 4).

Zwar wäre der mit der Beschwerde sinngemäß angesprochene Gesichtspunkt einer faktischen Integration und einer damit verbundenen Unzumutbarkeit einer Rückkehr ins Heimatland, der letztlich mangels einer dauerhaft statthaften Duldung auf die einzig in Betracht kommende Anspruchsnorm des § 25 Abs. 5 AufenthG zielt, auch im Rahmen der hier getroffenen Ermessensentscheidung von Relevanz, weil bei feststehender Unzumutbarkeit einer Ausreise einer Aufenthaltsverfestigung nicht mehr sinnvoll entgegen gewirkt werden kann. Dafür ist es jedoch erforderlich, dass dem Ausländer aus Rechtsgründen eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland unzumutbar ist. Die rechtlichen Maßstäbe für die dafür erforderliche Beurteilung ergeben sich insbesondere aus den Abschiebungsverboten und vorrangigem Recht, namentlich Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2, 6 GG, dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, und Art. 8 EMRK. Dabei ist das hier vornehmlich in Betracht kommende Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach unter anderem das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln, und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen. Die Vorschrift des Art. 8 Abs. 1 EMRK darf allerdings nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat. Entscheidend ist vielmehr, ob der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt (vgl. zu allem Senatsbeschluss vom 7. Februar 2006 - 18 E 1534/05 - mit weiteren Hinweisen insbesondere auf die Rechtsprechung des EGMR), er also in das hiesige wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben auf Grund seiner deutschen Sprachkenntnisse, sozialen Kontakte, Wohn-, Wirtschafts sowie Berufs- bzw. Schulverhältnisse faktisch integriert. Weiter kann bedeutsam sein, welche Beziehungen er zu dem Land noch hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, namentlich, ob er dort in einer Weise "entwurzelt" ist, dass eine Reintegration nicht zumutbar erscheint. Dafür ist von Gewicht, ob und wie lange der Ausländer dort gelebt hat und ob er die dortige Sprache kennt, mit den Verhältnissen des Landes (noch) vertraut ist und dort ggf. noch aufnahmebereite Verwandte leben (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2.11.2005 - 1 S 3023/04 -, InfAuslR 2006, 70; VG Stuttgart, Urteil vom 22.11.2005 - 12 K 2469/04 -, Asylmagazin 1- 2/2006, 41).