VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 22.11.2005 - 15 K 5819/04 - asyl.net: M8118
https://www.asyl.net/rsdb/M8118
Leitsatz:

Hatte ein Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach der Altfallregelung 2001, ist ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen; Trinkgelder sind bei der Sicherstellung des Lebensunterhalts zu berücksichtigen.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsbefugnis, Bleiberechtsregelung 2001, Erlasslage, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Anwendungszeitpunkt, Lebensunterhalt, Trinkgeld, Ausreisehindernis, Zumutbarkeit, Vertrauensschutz
Normen: AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG § 101 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Auszüge:

Hatte ein Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach der Altfallregelung 2001, ist ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen; Trinkgelder sind bei der Sicherstellung des Lebensunterhalts zu berücksichtigen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, den Klägern die beantragte Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Weil deren Erteilung nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes aus von den Klägern nicht zu vertretenden Gründen nicht mehr möglich ist, sind die Kläger so zu stellen, als sei die ihnen zustehende Aufenthaltsbefugnis erteilt worden. Ihnen ist deshalb der nach dem aktuellen Ausländerrecht gegebene analoge Aufenthaltstitel, die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.

Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, die zum Zeitpunkt des Erlass des Widerspruchsbescheides bestand. Zwar kommt es bei Verpflichtungsklagen grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. Doch sind von diesem Grundsatz unter der Geltung des Gebotes der Gewährung effektiven Rechtsschutzes, § 19 Abs. 4 GG, und des Rechtsstaatsprinzips, dem das Gebot der Gewährung materieller Gerechtigkeit immanent ist, dann Ausnahmen zu machen, wenn den Klägern nur dadurch Gerechtigkeit widerfahren kann, dass man auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abstellt. Das ist auch in ausländerrechtlichen Fällen anerkannt, wenn anders der Zweck bestimmter ausländerrechtlicher Vorschriften verfehlt würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.02.2001, BVerwGE Bd. 114 S. 9). Insbesondere ist das Abstellen auf einen früheren Zeitpunkt dann veranlasst, wenn der Zweck einer ausländerrechtlichen Regelung verfehlt würde, weil der Ausländer wegen einer rechtswidrigen Ablehnung seines Antrages den Rechtsweg beschreiten musste und seinen bei Antragstellung bestehenden Anspruch durch Zeitablauf verlieren würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.1997, InfAuslR 1998 S. 161). Der vorliegende Fall ist entsprechend gelagert.

Die Beklagte hat das von den Klägern beantragte Aufenthaltsrecht rechtswidrig abgelehnt. Den Klägern hätte die begehrte Aufenthaltsbefugnis zugestanden. Die in der Fachlichen Weisung 3/2001, welche das Erteilungsermessen der Beklagten gebunden hat und folglich über Art. 3 Abs. 1 GG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen ist, geregelten Erteilungsvoraussetzungen haben zur Überzeugung des Gerichtes vorgelegen.

Streitig ist insoweit nach den Feststellungen im Widerspruchsbescheid allein die Frage, ob der Lebensunterhalt der Kläger durch legale Erwerbstätigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe zum Stichtag, dem 10.05.2001, gesichert gewesen ist (vgl. Ziffer 3.1 Fachliche Weisung 3/2001). Das ist jedoch ohne weiteres zu bejahen.

Nach den von der Beklagten im Widerspruchsbescheid getroffenen Feststellungen bestand diesbezüglich lediglich ein Differenzbetrag des erzielten Monatseinkommens zu dem von der Fachlichen Weisung geforderten in Höhe von 85,72 €. Dieser Fehlbetrag existiert jedoch nicht, wenn man auf das tatsächlich erzielte Gesamteinkommen des Klägers zu 1) abstellt. Der angebliche Fehlbetrag wird dann nämlich durch die von ihm regelmäßig erzielten Trinkgelder kompensiert. Diese Trinkgelder sind als Erwerbseinkommen anzusehen, weil sie im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit des Klägers zu 1) (legal) erzielt werden. Zwar ist der Beklagten zuzustimmen, dass diese Einnahmen nicht arbeitsvertraglich geregelt sind. Doch folgt daraus nicht, dass sie rechtlich unerheblich wären. Zunächst ist festzustellen, dass sie einer arbeitsvertraglichen Regelung überhaupt nicht zugänglich sind, weil die Trinkgelder begrifflich nicht vom Arbeitgeber, sondern von Dritten, den bewirteten Gästen, gegeben werden. Dass der Kläger etwa arbeitsvertraglich verpflichtet wäre, seine Trinkgeldeinnahmen abzuführen, ist nicht ersichtlich. Trinkgeldeinnahmen werden vom Servicepersonal in der Gastronomie auch regelmäßig erzielt, wenngleich sie in der Höhe Schwankungen unterliegen werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich in der Praxis Erfahrungswerte ergeben, die eine Mittelung erlauben. Die vom Kläger seinerzeit genannte Summe von (durchschnittlich) 200,- DM ist nach der Bewertung des insoweit hinlänglich fach- und lebenskundigen Gerichts nicht übersetzt, was übrigens die Beklagte auch nicht behauptet.

Die Beklagte wäre demzufolge gehalten gewesen, den Klägern das beantragte Aufenthaltsrecht zu erteilen. Gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG hätte diese Aufenthaltsbefugnis als Aufenthaltserlaubnis neuen Rechts fortgegolten. Es wäre ein mit den eingangs genannten Grundsätzen unvereinbarer Rechtsnachteil, den Klägern den ihnen nach den seinerzeit geltenden ausländerrechtlichen Vorschriften zustehenden Status vorzuenthalten.

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht die Regelung des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG entgegen, wonach dieser Aufenthaltstitel nur dann erteilt werden darf, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Die Frage, ob insoweit eine Ausreisemöglichkeit besteht, ist nämlich auch unter subjektiven und damit implizit unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten zu prüfen (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Zuwanderungsgesetzes, BT-Drucks. 15/240 S. 80 zu Abs. 6). Es ist den sozial und wirtschaftlichen integrierten Klägern, die schutzwürdig auf die Zuerkennung des für sie vorgesehenen Aufenthaltsrechts vertrauen durften, nach Auffassung des Gerichts aber nicht zumutbar, in das Land ihrer Staatsangehörigkeit zurückzukehren.