VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 27.09.2005 - AN 18 K 04.30714 - asyl.net: M8132
https://www.asyl.net/rsdb/M8132
Leitsatz:

§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK für eritreische Staatsangehörige wegen Desertion und unerlaubter Ausreise; unmenschliche Haftbedingungen in Militärlagern und -gefängnissen.

 

Schlagwörter: Eritrea, Desertion, Wehrdienstverweigerer, Wehrdienst, Nationaler Dienst, Haft, Haftbedingungen, Situation bei Rückkehr, illegale Ausreise
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5; EMRK Art. 3
Auszüge:

§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK für eritreische Staatsangehörige wegen Desertion und unerlaubter Ausreise; unmenschliche Haftbedingungen in Militärlagern und -gefängnissen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Klägerin Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK zu gewähren.

Für die Furcht der Klägerin, im Falle einer Abschiebung nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterzogen zu werden, liegen stichhaltige und ernst zu nehmende Gründe vor. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Klägerin unmittelbar bei ihrer Einreise am Flughafen von eritreischen Sicherheitskräften wegen Fahnenflucht und unerlaubter Ausreise belangt und in Haft genommen wird. Alle Gruppen der Gesellschaft, auch Frauen müssen ihren 18-monatigen Wehrdienst ableisten. Wehrdienstverweigerung kann laut einschlägigen eritreischen Gesetzen mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden. Im Juli 2002, Anfang 2003 und im November 2004 führte die Regierung groß angelegte Militärrazzien durch, um männliche und weibliche Jugendliche zwangsweise zum Militärdienst einzuziehen und Fahnenflüchtige zu ergreifen. Bei Durchführung dieser Razzien gingen die Militärbehörden mit Härte vor. Sie nahmen in Kauf, dass es zu Todesfällen kommen konnte. Dem Auswärtigen Amt ist bekannt, dass bei der Novemberrazzia 2004 mindestens sechs Personen zu Tode gekommen sind; nach inoffiziellen Angaben soll es über 40 Tote gegeben haben. Seit Sommer 2003 erhalten alle Schüler nur dann ihr "High-Shool"-Abschlusszeugnis, wenn sie zuvor ihre Wehrpflicht im zentralen Ausbildungslager in Siwa abgeleistet haben (Lagebericht Auswärtiges Amt vom 11.4.2005).

Hieraus ergibt sich, dass die nunmehr beinahe 17 Jahre alte Klägerin sich durch ihre unerlaubte Ausreise dem Wehrdienst entzogen hat.

Aus all diesen Auskünften entnimmt das Gericht, dass Soldatinnen und Soldaten, die in Militärlagern und Militärgefängnissen eine Strafe verbüßen, dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter und unmenschliche und erniedrigende Behandlung erleiden müssen. Dies gilt für Wehrdienstverweigerer und in noch höherem Maße für Fahnenflüchtlinge.

Die Klägerin, die bereits schon ohne Ausreiseerlaubnis ins Ausland gereist ist, wäre bei ihrer Rückkehr konkret von Folter und unmenschlicher Behandlung betroffen. Allen Auskünften ist zu entnehmen, dass die Klägerin - so wie die aus Malta und aus Libyen abgeschobenen eritreischen Staatsbürger - bei einer Einreise nach Eritrea in Haft genommen werden wird, da sie ja ohne Erlaubnis Eritrea verlassen hat und dies wohl als Versuch der Wehrdienstentziehung gewertet werden wird. In der Haft drohen der Klägerin, wie sich aus den Auskünften hinlänglich ergibt, Misshandlungen, Folter und sexueller Missbrauch.