Ein verspäteter Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis entfaltet die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG.
Ein verspäteter Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis entfaltet die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 20.02.2006 ist zulässig. Soweit die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Ablehnung der Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse in den Verfügungen des Landrats des Antragsgegners vom 17.01.2006 begehren, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO statthaft. Die Klage vom 20.02.2006 (8 E 310/06(2)) gegen die Ablehnung eines Antrages auf Verlängerung des Aufenthaltstitels hat gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung.
Wendet sich ein Ausländer im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, so ist das Begehren nur dann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu beurteilen, wenn der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Entstehung eines vorläufigen Bleibe- oder Aufenthaltsrechts nach § 81 Abs. 3 AufenthG oder einer fiktiven Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG geführt hat. Ein derartiges fiktives Bleiberecht ergibt sich für die Antragsteller aus § 84 Abs. 4 AufenthG. Die Antragsteller hielten sich aufgrund von Schengen-Visa zunächst erlaubt im Bundesgebiet auf und hatten nach Ablauf der Geltungsdauer der Visa Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gestellt.
Dabei geht die Kammer davon aus, dass auch die Beantragung eines anderen Aufenthaltstitels nach Ablauf des bisherigen Titels i.S.d. § 4 Abs. 1 AufenthG geeignet ist, die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG herbeizuführen. Für eine derartige Auslegung spricht die Entstehungsgeschichte der Norm.
Für eine Einbeziehung verspäteter Anträge auf Verlängerung bzw. Erteilung einer anderen Aufenthaltserlaubnis in die Titelfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG spricht auch eine grammatikalische und systematische Auslegung der Norm (a.A. Funke-Kaiser, in: GK-AufentG, § 81, Rdnr. 40).
Letztlich sprechen noch gesetzessystematische Gesichtspunkte für die Einbeziehung verspäteter Anträge in den Regelungsbereich des § 81 Abs. 4 AufenthG: hierdurch wird sowohl eine Regelungslücke als auch eine sachlich nicht zu rechtfertigende Ungleichhandlung zu den Fällen des § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vermieden.
Der Antrag ist begründet.
Das private Interesse der Antragsteller, sich bis zum Abschluss des Klageverfahrens im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, überwiegt gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse. Denn die Verfügungen des Landrats des Antragsgegners vom 17.01.2006 erweisen sich als rechtswidrig.
Die Kammer geht aufgrund der summarischen Prüfung der Sachlage davon aus, dass der Landrat des Antragsgegners sein Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG fehlerhaft ausgeübt hat. Nach dieser Bestimmung kann von der Durchführung eines Visumsverfahrens abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen.
Diese Voraussetzungen liegen in der Person der Antragstellerin zu 1. vor, da diese durch die Eheschließung mit dem deutschen Staatsangehörigen Z. Y. am 15.11.2006 einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erworben hat. Der Landrat des Antragsgegners ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin zu 1. aufgrund der verspäteten Beantragung der Aufenthaltserlaubnis nicht nach § 39 Nr. 5 AufentV von der Durchführung eines Visumsverfahrens befreit ist, jedoch hätte er im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis prüfen müssen, ob er nach Ausübung pflichtgemäßem Ermessens die Antragstellerin zu 1. von der Durchführung des Visumsverfahrens befreit. Eine derartige Ermessensausübung ist erkennbar nicht erfolgt. Vielmehr wird auf der Seite 3 des Bescheides vom 17.01.2006 ausgeführt: "Da der Antrag verfristet gestellt wurde, besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Vielmehr müssen Sie ausreisen und bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung ein Visum zur Familienzusammenführung beantragen." Diese Ausführungen werden dem Ermessensspielraum, den § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dem Landrat des Antragsgegners einräumt, nicht gerecht.
Dabei geht die Kammer davon aus, dass auch unter Berücksichtigung der Schutzwirkung des Art. 6 Abs. 1 GG kein zwingender Anspruch auf Befreiung vom Visumsverfahren nach § 5 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Der verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie gebietet nicht unabhängig von den Umständen des Einzelfalls stets eine Ermessensreduktion zugunsten eines Aufenthaltsrechts des Ausländers. Grundsätzlich stellt auch die Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG den Ausländer nicht davon frei, die einfachgesetzlich vorgeschriebenen Vorschriften zur Verwirklichung des Einreisewunsches - wozu auch das Sichtvermerksverfahren zählt - zu beachten. Dass es im Einzelfall Umstände geben kann, die die Verweisung des Ausländers auf die Einhaltung des Sichtvermerksverfahren und damit die zunächst notwendige Ausreise als unangemessen oder gar als unzumutbar erscheinen lassen, widerspricht dem nicht; derartige Umstände können nämlich im Rahmen der nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG notwendigen Ermessensentscheidung berücksichtigt werden.