VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 15.02.2006 - 2 E 12/06.A - asyl.net: M8164
https://www.asyl.net/rsdb/M8164
Leitsatz:
Schlagwörter: Asylantrag, Antragsfiktion, Kinder, in Deutschland geborene Kinder, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Verpflichtungsklage, Altfälle
Normen: AsylVfG § 14a Abs. 2; VwVfG § 45 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 45 Abs. 2
Auszüge:

1. Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte steht den Klägerinnen nicht zu. Zwar leitete das Bundesamt rechtsfehlerfrei das Asylverfahren von Amts wegen ein (→ a.), doch sind die materiellen Voraussetzungen für eine Asylgewährung nicht gegeben (→ b.).

a. Nach dem durch Art. 3 Nr. 10 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 neu in das Asylverfahrensgesetz eingefügten § 14a war das Bundesamt berechtigt und verpflichtet, auf die Anzeige der Ausländerbehörde auch für die Klägerinnen Asylverfahren einzuleiten. Zwar ist in verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bislang umstritten, ob die Regelung des § 14a AsylVfG auch auf vor dem 1. Januar 2005 geborene oder in das Bundesgebiet eingereiste Kinder unter 16 Jahren - wie im Falle der Klägerinnen - anwendbar ist (→[1]), doch kommt es hierauf letztlich für die Entscheidung nicht an (→[2]).

(1) Für die Ansicht, die neu eingeführte Regelung des § 14a Abs. 2 AsylVfG sei in Fällen wie dem vorliegenden gar nicht anwendbar, spricht der Gebrauch der Zeitform des Präsens im Normbefehl dieser Regelung. Darüber hinaus wurden die Vergleichbarkeit mit der durch Art. 3 Nr. 46 Buchstabe b des Zuwanderungsgesetzes neu eingeführten, fristgebundenen Prüfungspflicht nach § 73 Abs. 2a AsylVfG sowie das Fehlen einer ausdrücklich die Anwendung anordnenden Übergangsregelung angeführt (vgl. Verwaltungsgericht Sigmaringen, Urteil vom 17. November 2005 - A 2 K 10331/05 - <JURIS>).

Indes ist der Gebrauch des Präsens angesichts einer nicht einheitlichen und systematischen Verwendung der Zeitformen im Asylverfahrensgesetz nicht zwingend (vgl. Verwaltungsgericht Minden, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 11 L 359/05.A - <JURIS>) und hat der Bundesgesetzgeber ausweislich der in dem Beschluss des Gerichts vom 11. Januar 2006 - 2 G 52/06.A - angeführten Bundesrats-Drucksache 22/03, Seite 257, seine Zielvorstellung klar präzisiert:

Durch die Fiktion der Asylantragstellung für ledige Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr wird verhindert, dass durch sukzessive Asylantragstellung überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Perspektive für die Betroffenen entstehen. Damit würden auch die in der Vergangenheit regelmäßig als notwendig erachteten Altfall- oder Härtefallregelungen weitgehend entfallen können.

Für diese Zielvorstellung ist es irrelevant, ob das Kind eines - auch abgelehnten - Asylbewerbers nun vor dem 1. Januar 2005 geboren oder eingereist ist oder nicht. Angesichts dessen hätte es, wollte man den Normbefehl so verstehen, dass er auf vor dem 1. Januar 2005 geborene oder eingereiste Kinder keine Anwendung finde, einer eindeutigen Regelung bedurft, die seine Anwendung auf diese Fälle ausschlösse; eine derartige Bestimmung findet sich beispielsweise in Art. 1 § 15a Abs. 6 des Zuwanderungsgesetzes, was belegt, dass sich der Bundesgesetzgeber tatbestandlicher Rückanknüpfungen seiner Neuregelungen durchaus bewusst war. Daher überzeugt auch nicht der Vergleich mit der neu eingefügten Regelung des § 73 Abs. 2a AsylVfG, die schlicht rückwirkend nicht mehr auszuführen ist.

(2) Letztlich kommt es zur Überzeugung des Gerichts auf die Beantwortung der Streitfrage hier jedoch nicht an, denn nach § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 VwVfG kann der für den Erlass des Bescheids vom 28. Dezember 2005 erforderliche Antrag noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Dabei kann eine Antragstellung auch konkludent oder gar stillschweigend erfolgen (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27. Februar 1985 - I OE 50/81 -, NVwZ 1985, S. 498). Vorliegend war es ausweislich des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung das erklärte Bestreben der Eltern der Klägerinnen, diesen zu demselben Status zu verhelfen, den auch sie anstrebten. Dementsprechend ließen sie sich im Asylverfahren mit der Erklärung vom 9. Dezember 2005 (Bl. 46 BA II), dem Vorbringen in ihrem eigenen Asylverfahren nichts hinzuzufügen zu haben, zur Sache ein, ohne zu rügen, die Asylverfahren für ihre Töchter hätte gar nicht eingeleitet werden dürfen. Damit wäre, hielte man § 14a Abs. 2 AsylVfG - entgegen der oben für überzeugender gehaltenen Ansicht - für hier nicht anwendbar, die Verfahrenseinleitung durch das Bundesamt jedenfalls genehmigt.