OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 18.01.2006 - 13 LC 467/03 - asyl.net: M8195
https://www.asyl.net/rsdb/M8195
Leitsatz:

Die Einreise und Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion außerhalb des sog. "geregelten" Verfahrens soll nach dem insoweit maßgeblichen Willen des Erlassgebers (Rd Erl. d. MI v. 7.6.2004, MBL454) lediglich als Ausnahme in Betracht kommen und nur auf besondere Härtefälle begrenzt werden, in denen nach den Umständen des Einzelfalles die Einhaltung des geregelten Aufnahmeverfahrens unzumutbar war.

(amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Sowjetunion, Juden, Aufnahmeverfahren, Zuwanderungsgesetz, Übergangsregelung, Entscheidungszeitpunkt, besonderer Härtefall
Normen: AufenthG § 104 Abs. 1; HumHAG § 1 Abs. 3; Runderlass vom 30.4.2001 Nr. 7.2
Auszüge:

Die Einreise und Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion außerhalb des sog. "geregelten" Verfahrens soll nach dem insoweit maßgeblichen Willen des Erlassgebers (Rd Erl. d. MI v. 7.6.2004, MBL454) lediglich als Ausnahme in Betracht kommen und nur auf besondere Härtefälle begrenzt werden, in denen nach den Umständen des Einzelfalles die Einhaltung des geregelten Aufnahmeverfahrens unzumutbar war.

(amtlicher Leitsatz)

 

Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nicht zu.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urt. v. 15. 2. 2001 – 1 C 23. 00 -, InfAuslR 2001, 350/351) ist bei Klagen auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zwar grundsätzlich insoweit auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen, als es um die Frage geht, ob aus Rechtsgründen eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt oder abgelehnt werden muss. Ob ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung besteht, ergibt sich jedoch aus dem materiellen Recht. Dieses regelt auch die Frage nach dem zeitlich anzuwendenden Recht. Hier ist insoweit die Übergangsregelung des § 104 Abs. 1 des "Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG -)" vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 1950) maßgeblich. Danach ist über – wie hier – vor dem 1. Januar 2005 gestellte Anträge auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht zu entscheiden. Auch wenn das "Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge" - HumHAG – mit Wirkung vom 1. Januar 2005 außer Kraft getreten ist (Art. 15 Abs. 3 Nr. 3 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004), kommt für die nach § 104 Abs. 1 AufenthG gebotene Entscheidung nach altem Recht als materielle Beurteilungsgrundlage § 1 Abs. 3 HumHAG in entsprechender Anwendung nach wie vor in Betracht (vgl. 104.1.2 der Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI zu § 104 AufenthG). Maßgeblich ist ferner der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) i.V.m. dem – letzten - Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 7. Juni 2004 (MBl. S. 454) über die „Aufnahme jüdischer Emigrantinnen und Emigranten aus der ehemaligen UdSSR“ – Aufnahmeerlass - , mit dem die Vorgängerregelung im Runderlass des Nds. MI vom 30. April 2001 (MBl. S. 411), geändert durch Erlass vom 28. Februar 2003 (MBl. S. 243), aufgehoben worden ist.

Nach Nr. 7.2 Abs. 3 Satz 3 Aufnahmeerlass "liegt ein Härtefall vor, wenn nach den Umständen des Einzelfalles die Einhaltung des geregelten Aufnahmeverfahrens unzumutbar war". Nach Satz 4 "sind maßgeblich die Umstände zum Zeitpunkt der Ausreise aus dem Herkunftsstaat (hier: 31. Oktober 1992), im Bundesgebiet später eingetretene Umstände können nicht berücksichtigt werden". Bereits

deshalb ist im vorliegenden Zusammenhang die seit 1997 bestehende Pflegebedürftigkeit der Schwester der Klägerin ebenso unerheblich wie der langjährig gestattete Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet.

"Vom Vorliegen eines Härtefalles" wird nach Nr. 7.2 Abs. 4 Aufnahmeerlass "insbesondere dann ausgegangen werden können, wenn enge Angehörige aus zwingenden Gründen Personen gefolgt sind, die bereits im geregelten Verfahren aufgenommen wurden, z.B. minderjährige Kinder, wehrpflichtige Söhne oder hilfsbedürftige Eltern". "Ein Härtefall kann auch vorliegen, wenn eine schwere Krankheit oder eine Risikoschwangerschaft eine kurzfristige Ausreise erforderlich gemacht hat".

Die Einbeziehung als Härtefall setzt danach grundsätzlich voraus, dass bereits nahe Angehörige als jüdische Emigranten im Bundesgebiet leben. Da diese Voraussetzungen im Fall der Klägerin nicht erfüllt sind, kann danach ein Härtefall nicht angenommen werden.

Nach Nr. 7.2 Abs. 5 Aufnahmeerlass "kommt eine Aufnahme im Härtefallverfahren ... nicht in Betracht", wenn "ein Aufnahmeantrag von einer deutschen Auslandsvertretung bereits abgelehnt worden ist oder er nach den Aufnahmegrundsätzen des Auswärtigen Amtes abgelehnt werden müsste". "Das Gleiche gilt, wenn die Anerkennung eines Härtefalles ausschließlich mit Gesichtspunkten begründet wird, die bereits in einem vorausgegangenen Asylverfahren erfolglos zum Nachweis politischer Verfolgung vorgetragen wurden oder als unglaubwürdig bewertet worden sind".

Nach Nr. 7.2 Abs. 6 Aufnahmeerlass "kann die Unzumutbarkeit der Einhaltung des geregelten Verfahrens ... nicht auf die allgemeine wirtschaftliche, soziale und politische Lage im Herkunftsland gestützt werden, da diese für die gesamte Bevölkerung gleich ist". "Wird die besondere Härte mit Verfolgung oder Diskriminierung im Herkunftsland begründet, ist darauf hinzuweisen, dass die deutsche Auslandsvertretung in diesen Fällen – insbesondere bei Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft – Anträge auf Einreise im geregelten Verfahren bevorzugt bearbeitet". "Ein derartiger Vortrag vermag daher ebenfalls nicht ohne weiteres das Vorliegen eines Härtefalles zu begründen".

Danach soll die Einreise und Aufnahme jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion außerhalb des geregelten Verfahrens nach dem insoweit maßgeblichen Willen des Erlassgebers (vgl. BVerwG, Urt. vom 19.9.2000 – 1 C 19.99 -, NVwZ 2001, 210) lediglich als Ausnahme in Betracht kommen und nur auf besondere Härtefälle begrenzt werden, in denen nach den Umständen des Einzelfalles die Einhaltung des geregelten Aufnahmeverfahrens unzumutbar war.