VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 26.01.2006 - 5 E 5870/04.A - asyl.net: M8219
https://www.asyl.net/rsdb/M8219
Leitsatz:

Keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG für Rückkehrer nach Afghanistan, auch nicht für minderjährige Kinder in Begleitung ihrer Eltern.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Widerruf, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, exilpolitische Betätigung, Imam, Überwachung im Aufnahmeland, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Sicherheitslage, Versorgungslage, Situation bei Rückkehr, UNHCR, Minderjährige, Kabul
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5; AufenthG § 60 Abs. 7; AsylVfG § 73 Abs. 3
Auszüge:

Keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG für Rückkehrer nach Afghanistan, auch nicht für minderjährige Kinder in Begleitung ihrer Eltern.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Bescheid des Bundesamtes vom 21.10.2004 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Sowohl der Widerruf der mit Bescheid vom 19.12.1994 getroffenen Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 des AuslG - nach heutiger Rechtslage § 60 Abs. 5 AufenthG - vorliegen als auch die Feststellung, dass im Übrigen Abschiebungshindernisse gem. § 53 AuslG - nach heutiger Rechtslage § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG - nicht vorliegen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Auch wenn - entsprechend dem von dem Klägerbevollmächtigten gestellten Beweisantrag - grundsätzlich davon auszugehen ist, dass in Afghanistan Personen, die sich im Interesse der Wahrung der Menschenrechte öffentlich gegen den Missbrauch des Koran aussprechen, Maßnahmen der Justiz in Afghanistan auslösen können, bedeutet dies nicht, dass grundsätzlich jede in welchem Zusammenhang auch immer und an welchem Ort auch immer geäußerte Kritik Verfolgungsmaßnahmen auslöst. Zunächst einmal hat der Kläger zu 1) Kritik in Predigten in der Bundesrepublik Deutschland geäußert, nichts spricht dafür oder ist substantiiert vorgetragen, was den Rückschluss darauf zuließe, diese Predigten würden in Afghanistan "gehört".

Dass es auch innerhalb des Islams durchaus Meinungsunterschiede und Diskussionen über die Gestaltung der Zukunft gibt, ist unbestritten und zeigt sich auch deutlich im Ergebnis der afghanischen Parlamentswahlen. Darüber hinaus ist auch afghanischen Behörden bekannt, dass ein im westlichen Ausland lebender afghanischer Imam anders auftreten muss als wie er dies möglicherweise in Afghanistan täte. Es ist absurd anzunehmen, dort werde erwartet, ein afghanischer Imam setze sich in der Bundesrepublik Deutschland öffentlich für die Einführung der Scharia ein, um damit Aufmerksamkeit und Protest zu ernten und hierdurch seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.

Auch der Umstand, dass sich der Kläger zu 1) für den christlich-muslimischen Dialog einsetzt und Kontakte zu katholischen Würdenträgern oder amerikanischen Diplomaten hat, ist in westlichen Ländern nichts Ungewöhnliches, wobei es hier dahingestellt bleiben kann, ob diesen Handlungen taktische Motive oder innere Überzeugung zugrunde liegen. Dies entzieht sich der gerichtlichen Bewertung.

Zieht man hierbei noch in Betracht, dass der Kläger zu 1) als Imam in seinen Predigten sich für die Einhaltung von Werten des Islam einsetzt und auch um seinen Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland kämpft, ist eine Gefährdung des Klägers zu 1) in Afghanistan bei realistischer Betrachtungsweise zu verneinen.

Auch sonstige Abschiebungshindernisse liegen nicht vor. Die Kläger haben vorgetragen, dass die derzeitige Lage in Afghanistan und eine Verschlechterung der Verhältnisse dort eine Rückkehr der Kläger nach Afghanistan nicht zulasse, da sie als Rückkehrer dort extremen Gefährdungen ausgesetzt seien.

Zunächst wird diesbezüglich auf die Ausführungen in dem Bescheid des Bundesamtes verwiesen. Des Weiteren folgt aus den in das Verfahren eingeführten Auskünften und Gutachten, dass aus der allgemeinen Lage resultierende Gefahren für Leib und Leben von Rückkehrern zwar nicht vollständig ausgeschlossen werden können, jedoch die Sicherheits- und Versorgungslage zumindest im Raum Kabul nicht derart schlecht ist, dass die Kläger dort bei einer Rückkehr einer extremen Gefährdung ausgesetzt wären.

Aus diesen Angaben lässt sich zumindest schließen, dass nach wie vor die in erheblicher Zahl zurückkehrenden Afghanen in Afghanistan mit Hilfe der Hilfsorganisationen eine zwar möglicherweise unbefriedigende, aber doch zum Leben ausreichende Grundlage finden können und dies auch offensichtlich von den Rückkehrern selbst so gesehen wird. Von daher vermag das Gericht nicht festzustellen, dass nach Afghanistan zurückkehrende Flüchtlinge - es sei denn, es liegen besondere Umstände vor - bei einer Rückkehr in ihr Heimatland dort extremen Gefährdungen i.S.v. § 60 Abs. 7 AufenthG für Leib und Leben ausgesetzt wären.

Die Kläger können sich bei einer Rückkehr ebenfalls in Kabul aufhalten. Sie trifft die fragile Sicherheits- und die schwierige Versorgungslage genauso wie andere Rückkehrer und viele nicht geflüchtete Afghanen. Ihnen wird auch mithilfe der dort tätigen Hilfsorganisationen zumindest ein Überleben möglich sein. Das Schicksal eines Lebens in Afghanistan unter schwierigen Bedingungen teilen die Kläger mit Tausenden von Flüchtlingen, die seit dem Sturz der Taliban zurückgekehrt sind und noch weiter zurückkehren. Das Gericht teilt auch nicht die Ansicht der Kläger, dass ihnen als aus dem westlichen Ausland zurückkehrenden Flüchtlingen besondere Schwierigkeiten drohen. Der Kläger zu 1) ist tief in der afghanischen Gemeinde und in der islamischen Religion verwurzelt, von einer "Verwestlichung" kann bei ihm nicht gesprochen werden.

Schließlich führt auch der Umstand, dass die Kläger zu 1) und 2) noch minderjährige Kinder haben - das letzte Kind wurde im Dezember 2004 geboren - nicht dazu, Abschiebungshindernisse zu bejahen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Kläger zu 1) und 2) in der Lage sind, ihre Kinder zu versorgen, wie dies auch anderen Eltern in Afghanistan gelingt. Unter Beachtung der oben dargelegten engen Voraussetzungen, unter denen ein Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG gewährt werden kann, können diese Umstände nicht zur Bejahung eines Abschiebungshindernisses führen.