Staatenlosen Kurden aus Syrien wird nach unerlaubter Ausreise die Rückkehr verweigert, ohne dass dies an ein asylerhebliches Merkmal anknüpft.
Staatenlosen Kurden aus Syrien wird nach unerlaubter Ausreise die Rückkehr verweigert, ohne dass dies an ein asylerhebliches Merkmal anknüpft.
(Leitsatz der Redaktion)
Der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2001 erweist sich mit Ausnahme der Bezeichnung von Syrien als Zielstaat der Abschiebung als rechtmäßig. Den Klägern steht kein Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 1 des im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats anzuwendenden Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) - Art. 1 Zuwanderungsgesetz - im Folgenden: AufenthG - vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950 ff.) zu.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner jüngsten Rechtsprechung klargestellt, dass die Entscheidung über den Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 1 AufenthG zugleich eine Entscheidung über die Rechtsstellung des Ausländers als Flüchtling i. S. des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) - GFK - ist (Urt. v. 8.2.2005 - 1 C 29.03 -). Der Bezug zur GFK werde sowohl in § 3 AsylVfG als auch in der Neufassung des bisherigen § 51 Abs. 1 AuslG durch § 60 Abs. 1 AufenthG hergestellt. Die Rechtsstellung des Ausländers lasse sich - wie sich aus Art. 1 A Nr. 2 GFK ergebe - nicht losgelöst von der Frage der Staatsangehörigkeit prüfen. Die Frage der Staatsangehörigkeit sei - anders als bei den Abschiebungsverboten des § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 AufenthG (dazu BVerwG, Urt. v. 4.12.2001 - 1 C 11.01 -, BVerwGE 115, 265) - auch dann zu klären, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung nicht in den Staat der Staatsangehörigkeit, sondern in einen anderen Zielstaat angedroht habe. Handele es sich um einen Staatenlosen, so trete gem. Art. 1 A Nr. 2 GFK an die Stelle des Staats der Staatsangehörigkeit der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts. Den tragenden Gesichtspunkt für die so definierte Rechtsstellung des schutzsuchenden Ausländers sieht das Bundesverwaltungsgericht im Prinzip der Subsidiarität des internationalen Schutzes gegenüber dem Schutz durch den Staat der Staatsangehörigkeit bzw. - bei Staatenlosen - durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts (Urt. v. 8.2.2005 - 1 C 29.03 -, S. 10 UA). Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Soweit sich im Urteil des Senats vom 2. Dezember 2003 - 3 L 68/01 - abweichende Ausführungen finden, wird hieran nicht festgehalten.
Streitgegenstand der sog. Flüchtlingsanerkennung ist grundsätzlich die Frage, ob dem betroffenen Ausländer in seinem Heimatstaat, mithin im Staat, dessen Staatsbürgerschaft er regelmäßig besitzt, für den Fall seiner Wiedereinreise eine politische Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10.1995 - 9 C 3.95 -, NVwZ-RR 1996, 602 (603)). Ausgangspunkt für die Beurteilung eines jeden Asylanspruchs, der erst dann entstehen kann, wenn der aus einem auswärtigen Staat kommende Asylsuchende das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erreicht hat (vgl. BVerwGE 69, 323 = NJW 1984, 2782), ist dabei die in die Zukunft gerichtete Prüfung der Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr politischer Verfolgung - erstmals oder erneut - ausgesetzt sein würde. Das setzt allerdings einen Staat voraus, in den der Asylsuchende in rechtlich zulässiger Weise zurückkehren könnte. Ist dies nicht der Fall und wird einem Ausländer, dem die Wiedereinreise durch denjenigen Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aus Gründen versagt, die mit den nach Art. 16 a GG asylerheblichen Merkmalen in keinem Zusammenhang stehen, kann er nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 15.10.1985 - 9 C 30.85 - NVwZ 1986, 759 zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a. F.) somit auch dann nicht als Asylberechtigter anerkannt werden, wenn ihm in seinem bisherigen Heimatstaat die Gefahr politischer Verfolgung droht.
Ebenso wie in den Fällen der Ausbürgerung eines Staatsangehörigen, die als solche regelmäßig eine politische Verfolgung beinhaltet und den Asyltatbestand selbst dann erfüllt, wenn der Betroffene nicht in sein Heimatland zurückkehren kann, lässt sich grundsätzlich auch bei einem Staatenlosen, dem die Wiedereinreise durch denjenigen Staat verweigert wird, in dem er mit dessen Billigung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 1 A Nr. 2 GK hatte, nicht ausschließen, dass der darin liegenden Entziehung seines Aufenthaltsrechts politische Motive im Sinne des Asyltatbestandes zugrunde liegen, mithin die Verweigerung der Wiedereinreise auf die Rasse, Religion, Nationalität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des von ihr Betroffenen zielt (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.2.1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 30 = NVwZ 1985, 589; BVerwG, Urt. v. 15.10.1985, a. a. O.; BVerwGE 67, 184 = NVwZ 1983, 674 = NJW 1983, 2782 L). Sollte dies nicht der Fall sein, so stellt sich bei Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit ihres Heimatstaates besitzen, sich dort aber mit seiner Billigung dauerhaft aufhalten konnten, allerdings die Frage, ob dieser (noch) das Land ihres gewöhnlichen Aufenthaltes ist. Während ein Staat seine Eigenschaft als Land des gewöhnlichen Aufenthalts nicht allein dadurch einbüßt, dass der Staatenlose ihn verlässt und in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt (vgl. BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsyVfG Nr. 30 = NVwZ 1985, 589), tritt eine Änderung der rechtlichen Situation hingegen dann ein, wenn er den Staatenlosen - aus im asylrechtlichen Sinne nicht politischen Gründen - ausweist oder ihm die Wiedereinreise verweigert, nachdem er das Land verlassen hat. Er löst damit seine Beziehungen zu dem Staatenlosen und hört auf, für ihn Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein.
(1) Der Senat geht in Anwendung der aufgezeigten Grundsätze davon aus, dass die Kläger keine syrischen Staatsangehörigen sind und auch keine andere Staatsangehörigkeit besitzen, sondern seit ihrer Geburt als Staatenlose in Syrien gelebt haben.
(2) Die Kläger haben nach Einschätzung des Senats, die auf der derzeitigen Erkenntnislage zur Stellung staatenloser Kurden in Syrien beruht (s. etwa Auswärtiges Amt, Auskunft d. AA v. 26.4.2001 an das VG d. Saarlandes; Auskunft v. 30.1.2001 an das VG Aachen; Auskunft vom 1. Oktober 2002 an das VG Magdeburg; a. i., Stellungnahme v. 3.12.1996 an das VG Ansbach; Deutsche Orientinstituts, Gutachten vom 8.5.1996 an das VG Ansbach; Gutachten v. 1.10.2001 an das VG d. Saarlandes; Gutachten v. 5.11.2002 an VG Magdeburg), auch keine rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit nach Syrien zurückzukehren, wenn sie - wie hier die Kläger - das Land illegal, d. h. ohne Erlaubnis des syrischen Staates verlassen haben. Soweit in einzelnen Fällen davon berichtet wird, dass bestimmte Personen infolge von Bestechung oder aufgrund persönlicher Beziehungen ausnahmsweise die Wiedereinreise gestattet worden ist (Lagebericht v. 17.7.2003 S. 10 und vom 1.4.2004, S. 11), handelt es sich um besonders gelagerte Ausnahmefälle, die bei der hier gebotenen generellen Betrachtungsweise keine andere Bewertung rechtfertigen. Dies entspricht auch der inzwischen übereinstimmenden Einschätzung in der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 2.8.2004 - 2 LA 342/03 - AuAS 2004, 271 f.; Urt. v. 27.5.2003 - 2 L 2040/98 - juris; Beschl. v. 10.10.2003 - 2 LA 347/03; Urt. v. 9.12.2002 - 2 L 3490/96 - juris; Urt. v. 27.3.2001 - 2 L 2505/98 -, Asylmagazin Nr. 7 - 8/2002, S. 32; OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 13.9.2002 - 3 R 3/02 - juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.9.2001 - 2 S 26/98 -; Sächs. OVG, Urt. v. 22.8.2003 - A 3 B 849/03 -, Asylmagazin Nr. 1-2/2004, S. 30 = InfAuslR 2004, 173 (174); OVG LSA, Urt. v. 27.6.2001 - A 3 S 461/98 -, Asylmagazin Nr. 11/2001, S. 39 (43 f.); Beschl. v. 21.7.2003 - A 3 S 389/99 - ; Urt. v. 22.10.2003 - 3 L 344/01 -).
(3) In dem Umstand, dass die syrischen Behörden den Klägern als staatenlose Kurden die Rückkehr nach Syrien verwehren, ist schließlich auch keine politische Verfolgung i. S. des § 60 Abs.1 AufenthG zu sehen. Das Wiedereinreiseverbot für die genannte Personengruppe nach illegaler Ausreise lässt sich nämlich nicht auf die in § 60 Abs. 1 AufenthG aufgeführten politischen Gründe zurückführen (ebenso OVG d. Saarlandes, Beschl. v. 13.9. 2002 - 3 R 3/02 - juris; OVG Nds., Urt. v. 27.5.2003 - 2 L 2040/98 - juris; Urteil d. Senats v. 27.6.2001 - A 3 S 461/98 -).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist geklärt, dass "Aussperrungen" und "Ausgrenzungen" in Gestalt von Rückkehrverweigerungen (ebenfalls) politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG darstellen können, wenn sie wegen asylerheblicher Merkmale des Betroffenen erfolgen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.10. 1995 - C 3.95 - NVwZ-RR 1996, S. 602 [zur Ausbürgerung von türkischen Staatsangehörigen yezidischen Glaubens wegen Wehrdienstentziehung]; Urt. v. 12. 2.1985 - 9 C 45.84 - Buchholz 402.25 [§ 1 AsylVfG] Nr. 30 = NVwZ 1985, S. 589; Urteil vom 15.10.1985 - 9 C 30.85 - Buchholz 402.25 [§ 1 AsylVfG] Nr. 39 = NVwZ 1986, S. 759). Dasselbe gilt im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG, der auch insoweit mit Art. 16 a Abs. 1 GG deckungsgleich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 - Buchholz 402.25 [§ 7 AsylVfG] Nr. 1 = NVwZ-RR 1992, S. 516). Die Verweigerung der Wiedereinreise muss also auf die Rasse, Religion, die Nationalität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auf die politische Überzeugung des Asylbewerbers zielen. Dies wird regelmäßig anzunehmen sein, wenn die Aussperrung Staatsangehörige betrifft. Bei Staatenlosen und Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit des Landes besitzen, in welches sie ausreisen bzw. abgeschoben werden sollen, kann eine solche Maßnahme hingegen auch auf anderen als asylrelevanten Gründen beruhen, wenn beispielsweise der Staat ein Interesse daran hat, die durch den Aufenthalt entstandene wirtschaftliche Belastung zu mindern oder Gefahren für die Staatssicherheit durch potentielle Unruhestifter vorzubeugen, oder weil er keine Veranlassung sieht, Staatenlose, die freiwillig das Land verlassen haben, weiterhin aufzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1995 - 9 C 3.95 - NVwZ-RR 1996, S. 602). In den letztgenannten Fallgruppen stehen ordnungspolitische Erwägungen im Vordergrund, die ihrer objektiven Gerichtetheit nach nicht an asylerhebliche Persönlichkeitsmerkmale anknüpfen.
Gegen die Annahme eines an die Ethnie anknüpfenden Wiedereinreiseverbots für die Kurden aus Syrien, die dort als staatenlos gelten, zumindest aber nicht die syrische Staatsangehörigkeit besitzen, spricht schon der Umstand, dass nicht sämtliche in Syrien lebenden Kurden, die das Land illegal verlassen haben und wieder nach Syrien einreisen wollen, von diesem Verbot betroffen sind. Eine solche unterschiedslose Behandlung wäre für den Fall anzunehmen, dass es dem syrischen Staat darum ginge, die der kurdischen Volksgruppe angehörende Personen wegen ihrer Ethnie auszusperren. Die Restriktionen beschränken sich indessen auf jene Personen kurdischer Volkszugehörigkeit, die keine syrische Staatsangehörigkeit besitzen, weil 1962 in der Provinz Hassake eine Volkszählung durchgeführt wurde, die dazu geführt hat, dass etwa 120.000 Kurden - dies entspricht einem Anteil von ca. 10 v. H. der kurdischen Volksgruppe - als Ausländer registriert wurden (vgl. Siamend Hajo/Eva Savelsberg, Gutachten vom 27. September 2002 an das VG Magdeburg; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 07. Oktober 2002). Betroffen ist somit - gemessen an der Gesamtzahl der in Syrien lebenden Kurden - nur eine relativ kleine Anzahl von Kurden, nämlich solche Personen und deren Nachkommen, die aufgrund der genannten Ereignisse in den 60iger Jahren als Ausländer oder Staatenlose gelten und sich nach syrischer Rechtsansicht seitdem illegal im Land aufhalten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 07. Oktober 2002). Dies lässt darauf schließen, dass der Anknüpfungspunkt für die Restriktionen bei der Wiedereinreise in eben diesen Eigenschaften - Staatenlosigkeit, illegaler Aufenthalt in Syrien - zu suchen ist.
(4) Für eine Überprüfung von Abschiebungshindernissen gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG für die Kläger sieht der Senat vor dem Hintergrund des bestehenden faktischen Wiedereinreiseverbots nach Syrien ebenfalls keinen Anlass. Grundsätzlich muss sich die rechtliche Überprüfung im Asylverfahren auch auf Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG erstrecken. In Fällen, in denen aus tatsächlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abzuschieben, ist das Bundesamt ermächtigt und regelmäßig gehalten, eine ”Vorratsentscheidung” zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zu treffen, die dann auch der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 10.7.2003 - 1 C 21.02 -, DVBl. 2004, 123, 124). Das Gericht kann von dieser Überprüfung im Ausnahmefall aber auch absehen und sich auf eine Aufhebung der Zielstaatsbestimmung beschränken.
Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und sieht einen Anwendungsbereich für den vorliegenden Fall. Der Senat sieht deshalb insoweit von weiterer Aufklärung ab und lässt es mit der Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung Syrien für die Kläger sein Bewenden haben.