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LSG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.05.2006 - L 20 B 14/06 AY ER - asyl.net: M8242
https://www.asyl.net/rsdb/M8242
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, Rechtsmissbrauch, Aufenthaltsdauer, Passlosigkeit, Pass, Vernichtung, Schlepper, freiwillige Ausreise, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Auslandsvertretung, Aserbaidschan, Fälschung, Identitätstäuschung, Armenier, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit
Normen: AsylbLG § 2 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2
Auszüge:

Nach der gebotenen summarischen Prüfung spricht derzeit deutlich mehr für das Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache als dagegen; die von der Antragsgegnerin geltend gemachte rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG ist derzeit nicht ersichtlich.

Zwar ist in der Gesetzesbegründung (aaO) ausdrücklich als Beispielsfall der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts die Vernichtung des Passes genannt. In diesen Fällen entspreche es der Intention des Gesetzes, zwischen denjenigen Ausländern zu unterscheiden, die unverschuldet nicht ausreisen können und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen.

Der hier zu entscheidende Sachverhalt, nämlich die behauptete und bisher von der Antragstellerin auch nicht substantiiert bestrittene Übergabe der Ausweispapiere an Schlepper noch vor der Einreise, unterscheidet sich jedoch von dem der nachträglichen, d. h. nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfolgten Vernichtung der Pässe.

Für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung des Aufenthalts ist zu fordern, dass die Ausweise bei oder nach der Einreise mit der Absicht vernichtet werden, den Aufenthalt zu verlängern. Hierfür fehlt vorliegend jeder Anhaltspunkt. Rechtsmissbräuchlich ist das Verhalten eines Asylbewerbers im Übrigen nur dann, wenn es erkennbar der Verfahrensverzögerung und somit der Aufenthaltsverlängerung dient, obwohl eine Ausreise möglich und zumutbar wäre. Dabei muss das rechtsmissbräuchliche Verhalten tatsächlich die Dauer des Aufenthalts beeinflusst haben (Mergler/Zink SGB XII, Stand August 2004, § 2 AsylbLG Rdnr. 26, 28).

Einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten wie der Vernichtung von Ausweispapieren steht es jedenfalls nicht gleich, wenn die Ausweispapiere an einen Schleuser abgegeben werden, denn insoweit hat der einreisende Ausländer nicht freiwillig selbst seine Ausweispapiere vernichtet (vgl. wie hier LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.03.2006 - L 8 B 13/05 AY ER -, das ausdrücklich darauf hinweist, dass es an der Absicht der Vernichtung der Ausweispapiere zum Zwecke der Aufenthaltsverlängerung fehle; vgl. auch Birk in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2005, § 2 AsylbLG Rdnr. 5 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 03.06.2003 - 5 C 32/02 - zu § 2 AsylbLG in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung, wobei es sich allerdings um eine fehlerhafte Verweisung handeln dürfte, da das in Bezug genommene Urteil keinerlei Rückschlüsse auf die Auslegung des Begriffs der Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 AsylbLG in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung erlaubt).

Auch ein Verhalten der Antragsteller - ohnehin wohl nur zu 2) bis 4) -, das als fehlende Mitwirkung an der Beschaffung von Ausweispapieren ausgelegt werden könnte, ist nicht hinreichend dargelegt worden.

Dies ergibt sich auch nicht aus den von der Botschaft mitgeteilten angeblichen Fälschungsanhaltspunkten auf der Geburts- bzw. Heiratsurkunde. Denn der Senat unterstellt insoweit, dass die Verwendung einheitlicher Dokumente und Siegel sowie die Handhabung der Eintragungen in der Republik Aserbaidschan nicht mit den formal strengen Maßstäben in der Bundesrepublik Deutschland zu vergleichen sein dürften. Daher liegen hier kaum nachweisbare Umstände für eine (versuchte) Täuschung über die Identität der Antragstellerin zu 2) bzw. der gemeinsamen Kinder vor, zumal die Angaben in den vorgelegten Dokumenten mit denen im Asylantrag und auch den darüber hinaus gemachten Angaben etwa zur Herkunft übereinstimmen.

Die Antragsgegnerin hat darüber hinaus nicht hinreichend dargelegt, welches Verhalten den Antragstellern als nicht hinreichende Mitwirkung an der Beschaffung von Passersatzpapieren ausgelegt werden könnte. Der Senat merkt im Übrigen an, dass es in Aserbaidschan zwar offenbar keine systematische, staatliche Verfolgung von armenischstämmigen Bürgern - eine solche Herkunft der Antragstellerin zu 2) wird behauptet - gibt. Gleichwohl erscheint es nicht abwegig, dass die nicht zu erlangenden Auskünfte der Botschaft ggf. auch mit der Herkunft der Antragstellerin zu 2) in Zusammenhang zu bringen sein könnten.