VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 29.03.2006 - 2 A 1196/02 - asyl.net: M8253
https://www.asyl.net/rsdb/M8253
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien und Montenegro, Kosovo, Roma, Ashkali, Märzunruhen, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, Situation bei Rückkehr, Diabetes mellitus, Hypertonie, Herzerkrankung, Kreislauferkrankung, Sozialhilfe, interne Fluchtalternative
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

1. Den Klägern steht ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis Abs. 5 AufenthG nicht zu.

Die Unruhen im März 2004 rechtfertigen eine andere Bewertung der Verfolgungs- oder Sicherheitslage nicht. Diese Unruhen waren ein einmaliger abgeschlossener Vorgang. Schon der unruhefreie Zeitablauf seitdem - bis zur mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren zwei Jahre - belegt, daß eine Wiederholungsgefahr nicht konkret besteht.

2. Auch hinsichtlich der geltend gemachten Krankheit der Klägerin zu 2 gilt nichts anderes.

Krankheit schützt einen Ausländer nur in Ausnahmefällen vor Abschiebung. Ein Abschiebungshindernis kann sich bei drohenden Beeinträchtigungen der Gesundheit insbesondere aus § 60 Abs. 7 AufenthG ergeben.

Eine konkrete Gesundheitsgefahr ist für die Klägerin zu 2 nicht feststellbar, wenn sie in das Kosovo zurückkehrte. Depressive Erkrankungen sind im Kosovo medikamentös behandelbar (vgl. nur: Lagebericht des AA Serbien und Montenegro, Stand November 2005). Die Klägerin zu 2 muß sich auf diese Behandlungsmöglichkeit verweisen lassen. Mit Blick auf die Berücksichtigung seelischer Erkrankungen bei der Entscheidung über Abschiebeverbote für Ausländer aus dem Kosovo hat das Nordrhein-Westfälische Oberverwaltungsgericht zu § 53 Abs. 6 AuslG - jetzt § 60 Abs. 7 AufenthG - entschieden (Beschluß vom 30. Dezember 2004, Az: 13 A 1250/04.A, Juris-MWRE205012336): ...

3. Nach den oben dargestellten Maßstäben hat jedoch der Kläger zu 1 einen Anspruch, daß für ihn das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG festgestellt wird. Für diesen wurde eine MdE von 50% festgestellt, weil er zuckerkrank ist und einen Hinterwandinfarkt erlitten hat, außerdem besteht bei ihm Bluthochdruck.

Nach den in die mündliche Verhandlung eingeführten Erkenntnismitteln ist Diabetes im Kosovo behandelbar und sind die erforderlichen Arzneimittel Norvasc, Concor = Bisoprolol, Delix = Ramipril und Zocor = Simvastatin im Kosovo überwiegend ständig verfügbar. Insbesondere wird Insulin als Insulin mixtard an Mittellose in öffentlichen Apotheken sogar kostenfrei abgegeben (Verbindungsbüro Prishtina an Stadt Leverkusen vom 17. März 2005). Dagegen ist Actraphane nicht regelmäßig verfügbar (Verbindungsbüro Prischtina an Stadt Leverku-sen vom 17. März 2005).

Jedoch sind die verfügbaren Herz- Kreislaufmittel für den Kläger zu 1 nach den dargestellten Maßstäben unerschwinglich. ... Damit ergibt sich überschlägig eine monatliche Belastung von über 65 Euro. Es ist nicht abzusehen, daß der Kläger zu 1 im Kosovo über Mittel verfügen könnte, einen solchen Betrag monatlich für Arzneimittel aufzubringen. Zwar erhalten bedürftige Personen im Kosovo Unterstützung durch Sozialhilfe. Die Leistungen betragen inzwischen 35 Euro monatlich für eine Einzelperson und bis zu 75 Euro monatlich für Familien (Lagebericht Serbien und Montenegro [Kosovo] des Auswärtigen Amtes der Beklagten vom 22. November 2005). In der Praxis ist jedoch Voraussetzung der Bedürftigkeit, daß keine Person im Haushalt ist, die eine Arbeitsstelle hat oder arbeitsfähig ist (vgl. z.B. Auskunft der SFH vom 13. August 2004 an VG Regensburg "Sorgerechtsregelungen und Rückkehrperspektive für alleinerziehende Mütter"). Der Kläger zu 1 selbst ist im Hinblick auf seine festgestellte MdE von 50% nicht als arbeitsfähig anzusehen. Maßgeblich ist aber, daß zum Haushalt des Klägers zu 1 auch dessen Ehefrau und mindestens auch die erwachsene Klägerin zu 3 zählen. Jedenfalls diese ist offensichtlich arbeitsfähig. Nach der Auskunftslage wäre damit nach der geübten Praxis nicht damit zu rechnen, daß die Familie des Klägers zu 1 Sozialhilfe erhielte. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß die Tochter - oder die Ehefrau - Arbeit finden werden.

Es ist dem Kläger zu 1 auch nicht möglich, in einen anderen Landesteil von Serbien und Montenegro auszuweichen, da er Roma ist. Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat in seinem Urteil vom 27. Januar 2004 (- 12 A 550/03 -) ausgeführt: ...