OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11.05.2006 - 12 ME 138/06 - asyl.net: M8283
https://www.asyl.net/rsdb/M8283
Leitsatz:
Schlagwörter: inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Duldung, Privatleben, Schutz von Ehe und Familie, Verhältnismäßigkeit, Abschiebung, Aufenthaltsdauer
Normen: AufenthG § 60a Abs. 2; GG Art. 20 Abs. 3; GG Art. 6 Abs. 1; EMRK Art. 8 Abs. 1
Auszüge:

Die Abschiebung der Antragstellerin ist nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Sinne von § 60 a Abs. 2 AufenthG unmöglich. Insbesondere stellt sie keinen unzulässigen Eingriff in das Recht auf eine geschützte Privatsphäre gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ableitbaren Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - EGMR - garantiert die EMRK nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen zu werden. Die Vertragsstaaten haben nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden. Die Entscheidungen der Staaten können aber in bestimmten Fällen in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreifen (EGMR, Entscheidung vom 16.9.2004 - 11103/03 - (B. J. Deutschland), NVwZ 2005, 1046). Dabei ist das Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK weit zu verstehen und umfasst seinem Schutzbereich nach u.a. das Recht auf Entwicklung der Person und das Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt anzuknüpfen und zu entwickeln und damit auch die Gesamtheit der im Land des Aufenthalts gewachsenen Bindungen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.1.2006 - 18 B 44/06 -, juris, unter Hinweis auf Rechtsprechung des EGMR). Die Vorschrift darf aber nicht so ausgelegt werden als verbiete sie allgemein die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen nur deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat (EGMR, Entscheidung v. 16.9.2004, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.2.2006 - 18 E 1534/05 -, juris; Nds. OVG, Beschl. v. 11.4.2006 -10 ME 58/06 -, juris). In das Recht kann im Einzelfall vielmehr nach Art. 8 Abs. 2 EMRK unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingegriffen werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, EuGRZ 2004, 317; BVerwG, Urt. v. 29.9.1998 - 1 C 8.96 -, InfAuslR 1999, 54; Nds. OVG, Beschl. v. 2.12.2005 - 5 ME 236/05 u.a. -). Dabei ist wesentlich zu berücksichtigen, ob der Betroffene über intensive persönliche und familiäre Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt und er faktisch nur noch hier sein Privatleben führen kann (EGMR, Urt. v. 16.6.2005 - 60654/00 - (C../. Lettland), InfAuslR 2005, 349:, Nds. OVG, Beschl. v. 11.4.2006, a.a.O.).