VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 22.03.2006 - 1 E 5099/05 (2) - asyl.net: M8288
https://www.asyl.net/rsdb/M8288
Leitsatz:

1. § 66 Abs. 4 AufenthG begründet eine Haftung des Arbeitgebers für die Kosten der Abschiebung eines Ausländers auch dann, wenn dessen Erwerbstätigkeit nicht "nach diesem Gesetz" unerlaubt war, sondern nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden Ausländergesetz.

2. Entscheidendes Indiz dafür, dass jemand einen Ausländer als Arbeitnehmer beschäftigt hat (§ 66 Abs. 4 AufenthG), ist nicht das Bestehen eines förmlichen Arbeitsvertrages, sondern ein gewisses Maß persönlicher Abhängigkeit, das sich insbesondere darin äußert, dass eine Person dem Ausländer gegenüber (nicht von einem Dritten abgeleitete) Weisungsbefugnis in Anspruch nimmt und insofern als "Chef" auftritt.

3. Die Ergebnisse einer Telefonüberwachung nach § 100a StPO dürfen in einem Verwaltungsverfahren über die Heranziehung zu den Kosten einer Abschiebung nicht verwertet werden.

 

Schlagwörter: Arbeitgeber, Abschiebungskosten, Übergangsregelung, Zuwanderungsgesetz, illegale Erwerbstätigkeit, Prostitution, Telefonüberwachung, Verwertungsverbot
Normen: AufenthG § 66 Abs. 4; GG Art. 10 Abs. 1
Auszüge:

1. § 66 Abs. 4 AufenthG begründet eine Haftung des Arbeitgebers für die Kosten der Abschiebung eines Ausländers auch dann, wenn dessen Erwerbstätigkeit nicht "nach diesem Gesetz" unerlaubt war, sondern nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden Ausländergesetz.

2. Entscheidendes Indiz dafür, dass jemand einen Ausländer als Arbeitnehmer beschäftigt hat (§ 66 Abs. 4 AufenthG), ist nicht das Bestehen eines förmlichen Arbeitsvertrages, sondern ein gewisses Maß persönlicher Abhängigkeit, das sich insbesondere darin äußert, dass eine Person dem Ausländer gegenüber (nicht von einem Dritten abgeleitete) Weisungsbefugnis in Anspruch nimmt und insofern als "Chef" auftritt.

3. Die Ergebnisse einer Telefonüberwachung nach § 100a StPO dürfen in einem Verwaltungsverfahren über die Heranziehung zu den Kosten einer Abschiebung nicht verwertet werden.

(Amtliche Leitsätze)

 

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Er beruht auf § 66 Abs. 4 AufenthG. Danach haftet für die Kosten der Abschiebung, wer einen Ausländer als Arbeitnehmer beschäftigt hat, sofern diesem die Ausübung der Erwerbstätigkeit nicht erlaubt war. Nach dem Wortlaut des Gesetzes besteht die Haftung des Arbeitgebers allerdings nur, wenn dem Ausländer die Erwerbstätigkeit "nach diesem Gesetz" nicht erlaubt war, also nach Maßgabe des am 01. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes. Der angefochtene Bescheid knüpft dagegen an eine Erwerbstätigkeit vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes an.

Indessen zeigen die Übergangsvorschriften der §§ 101ff. AufenthG, dass der Gesetzgeber Rechte und Pflichten, die unter der Geltung des alten Ausländergesetzes entstanden waren, bruchlos weiter gelten lassen wollte. Er hat dabei den Fall des § 66 Abs. 4 AufenthG aber offensichtlich übersehen. Das Gericht kann diese planwidrige Lücke im Wege des Analogieschlusses dahingehend schließen, dass § 66 Abs. 4 AufenthG auch dann eine Haftung begründet, wenn die Erwerbstätigkeit des Ausländers auch nach dem alten Ausländergesetz nicht erlaubt war.

Die drei abgeschobenen Ausländer gingen einer Erwerbstätigkeit nach, obwohl sie nicht über einen hierfür erforderlichen Aufenthaltstitel verfügten.

Der Kläger ist auch als derjenige anzusehen, der die drei Prostituierten beschäftigt hat. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Arbeitgeber einen Ausländer im Sinne des § 66 Abs. 4 AuslG beschäftigt, ist nicht maßgeblich, ob zwischen dem Ausländer und dem Arbeitgeber ein vertragliches Beschäftigungsverhältnis im Sinne eines rechtswirksamen Arbeits- oder Dienstleistungsvertrages geschlossen wurde. Maßgeblich für die Beurteilung ist allein, dass es zu einem gewissen Maß an "persönlicher Abhängigkeit" gekommen ist. Dabei ist nicht auf die formale Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse abzustellen; maßgeblich ist vielmehr die Verkehrsanschauung, wobei den sich hinter den Rechtsverhältnissen verbergenden wirtschaftlichen und tatsächlichen Verhältnissen eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. HessVGH, Urt. v. 06.10.1994 AuAs 1995, S. 16; HessVGH, Urt. v. 21.09.1995 NVwZ RR. 1995, S. 111). Entscheidendes Indiz ist insoweit, ob eine Person den Erwerbstätigen gegenüber als "Chef" auftritt, d.h. ihnen gegenüber Weisungsbefugnisse hinsichtlich der Art und Weise der Arbeitsausführung in Anspruch nimmt.

Der Kläger ist als Betreiber des Etablissements und damit als Arbeitgeber anzusehen. Soweit der Bescheid insoweit auf die Ergebnisse der Telefonüberwachung Bezug nimmt, dürfen diese allerdings nicht verwertet werden. Schon ihre Übermittlung an die Ausländerbehörde verletzt den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG. Eine gesetzliche Grundlage für die Telefonüberwachung existiert nur zum Zwecke der Strafverfolgung im Hinblick auf die in § 100a StPO aufgeführten schweren Straftaten, nicht aber zum Zwecke der Ermittlung des Arbeitgebers für die Heranziehung zu den Kosten der Abschiebung. Ergebnisse strafrechtlicher Ermittlungen nach § 100a StPO dürfen daher in dem Verfahren nach § 66 Abs. 4 AufenthG nicht verwertet werden (vgl. für das Besteuerungsverfahren BFH, Beschl. v. 26.02.2001 - VII B 265/00 -, BFHE 194, 40).

Dass der Kläger als Arbeitgeber aufgetreten ist, ergibt sich jedoch aus den Aussagen der Prostituierten M, der Zeugin Z, die gegen ihren Willen in den Club gebracht worden war und dort der Prostitution nachgehen sollte, und des Kunden B.