OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 16.05.2006 - 5 ME 112/06 - asyl.net: M8291
https://www.asyl.net/rsdb/M8291
Leitsatz:
Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Ehegatte, Aufenthaltsbefugnis, Übergangsregelung, Zuwanderungsgesetz, rechtmäßiger Aufenthalt, Ehebestandszeit, Aufenthaltsgestattung, besondere Härte, Misshandlungen, Schutz von Ehe und Familie, Kinder, Iran, Situation bei Rückkehr, Todesdrohung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 31 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 31 Abs. 2; AsylVfG § 70 Abs. 1 a.F.; AuslG § 31 Abs. 1; AufenthG § 101 Abs. 2; AufenthG § 30 Abs. 1 Nr. 2; AsylVfG § 55 Abs. 3
Auszüge:

Zutreffend wird mit der Beschwerde geltend gemacht, dass den rechtlichen Erwägungen des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts so nicht zu folgen sein dürfte. Es spricht nämlich viel dafür, dass die Antragstellerin zu 1 gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Sätze 1 und 2 AufenthG einen Anspruch auf die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels hat und in der Folge auch die Aufenthaltstitel der Antragsteller zu 2 und zu 3 zu prolongieren sind. Im Einzelnen ergibt sich das aus folgenden Erwägungen:

Zu Gunsten des Ehemanns bzw. Vaters der Antragsteller hatte das Bundesamt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt. Dem Ehemann und Vater war daraufhin eine Aufenthaltsbefugnis erteilt worden (§ 70 Abs. 1 AsylVfG a. F.). Hieran anknüpfend konnten auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 AuslG auch den Antragstellern Aufenthaltsbefugnisse erteilt werden. Diese Aufenthaltsbefugnisse wurden zuletzt am 11. März 2004 bis zum 20. November 2005 verlängert und galten seit dem 1. Januar 2005 gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnisse entsprechend dem ihrer Erteilung zu Grunde liegenden Aufenthaltszweck und Sachverhalt fort. Für die der Antragstellerin zu 1 auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 AuslG erteilte Aufenthaltsbefugnis bedeutete dies eine Fortgeltung als Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: April 2006, Ordner 1, RdNr. 18 zu § 101 AufenthG; Nr. 101.2.0, 18. Spiegelstrich, Vorl. Nds. VV-AufenthG; Nr. 101.2.3.5 Vorl. Anwendungshinweise des BMI v. 22. 12. 2004 - zitiert nach Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, vor RdNr. 1 zu § 101 AufenthG). Dementsprechend trifft die Annahme des Antragsgegners nicht zu, dass die Antragstellerin zu 1 in den letzten zwei Jahren keine Aufenthaltserlaubnis besessen habe. Vielmehr verfügte sie über eine solche Aufenthaltserlaubnis zumindest seit dem 1. Januar 2005. Im Übrigen wäre es aber auch nicht erforderlich, dass die Antragstellerin über einen Zeitraum von zwei Jahren Inhaberin einer Aufenthaltserlaubnis (im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) gewesen ist, sondern würde es nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG grundsätzlich ausreichen, dass ein derartiger Aufenthaltstitel zum Zeitpunkt der Beantragung ihres eigenständigen Aufenthaltsrechts am 27. Oktober 2005 noch vorlag, wenn nur zuvor eine eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hätte. Dabei kann die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Antragstellerin zu 1 nicht allein durch eine Aufenthalterlaubnis nach § 30 AufenthG vermittelt werden, sondern sind auch andere Aufenthaltstitel oder Aufenthaltsgenehmigungen hierzu geeignet (vgl. Hailbronner, a.a.O., RdNr. 12 zu § 31 AufenthG, Nr. 31.1.1.1 Vorl. Nds. VV-AufenthG). Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsgestattung könnten dagegen gemäß § 55 Abs. 3 AsylfVfG nur berücksichtigt werden, wenn das Asylverfahren zur unanfechtbaren Anerkennung als Asylberechtigte oder zur unanfechtbaren Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG geführt hätte (Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, RdNr. 18 zu § 55 AsylVfG; Remmel, in: GKAsylVfG, Stand: Februar 2006, Bd. 2, RdNr. 79 zu § 55 AsylVfG a. F.).

Gemäß § 31 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AufenthG ist von dem Erfordernis des zweijährigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet jedoch abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, der Antragstellerin zu 1 den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, und weder für ihren Ehemann die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen war (vgl. §§ 8 Abs. 2 AufenthG, 10 Abs. 2 Satz 2 AuslG) noch die Antragstellerin zu 1 aus einem von ihr zu vertretenden Grunde auf Sozialhilfe angewiesen ist und es insoweit einen Missbrauch zu vermeiden gilt (§ 31 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Eine besondere Härte liegt dabei insbesondere dann vor, wenn der Antragstellerin zu 1 wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange droht oder wenn ihr wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; zu den schutzwürdigen Belangen zählt auch das Wohl der mit ihr in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kinder, der Antragsteller zu 2 und zu 3 (§ 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

Weder ist ihr nämlich zuzumuten, sich dauerhaft von den Antragstellern zu 2 und zu 3 zu trennen, noch diese der Obhut eines gewalttätigen, drogenabhängigen Rauschmittelhändlers zu überlassen (vgl. auch Nr. 31.2.2.1, dritter Spiegelstrich, und Nr. 31.2.2.2, erster Spiegelstrich, Vorl. Nds. VV-AufenthG sowie Nrn. 31.2.5.1, 31.2.5.3 und 31.2.5.5 der Vorl. Anwendungshinweise des BMI v. 22. 12. 2004 - zitiert nach Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, vor RdNr. 1 zu § 31 AufenthG).

Der Senat folgt nicht der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass der Ehegatte, der sich auf § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG beruft, bereits zum Zeitpunkt der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sein müsse, die [nach damals gültigem Recht als eigenständiges Aufenthaltsrecht] hätte verlängert werden können (so wohl Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, RdNr. 26 zu § 31 AufenthG), sondern neigt der abweichenden Rechtsmeinung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 06.01. 2005 - 1 Bs 513/04 -, NVwZ 2005, 469) zu, welches insoweit für die Übergangsfälle des § 101 Abs. 2 AufenthG den Besitz derjenigen Aufenthaltsgenehmigung (hier: Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Abs. 1 AuslG) für ausreichend erachtet, die später als Aufenthaltstitel nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fortgilt.

Fraglich ist jedoch, ob es einem Anspruch der Antragstellerin zu 1 auf die begehrte Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht, dass nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 AufenthG hierfür auch erforderlich ist, dass "der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis" war. Dieses Erfordernis bezieht sich nämlich - entgegen wohl der Auffassung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (a.a.O.) - nicht auf den Ehegatten, der ein eigenständiges Aufenthaltsrecht begehrt, sondern auf den stammberechtigten Ausländer, hier also den Ehemann der Antragstellerin zu 1. In der einschlägigen Verwaltungsvorschrift (Nr. 31.1.1.3 Vorl. Nds. VV-AufenthG, ähnlich: Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, RdNr. 26 zu § 31 AufenthG) wird die Auffassung vertreten, dass nur wenn dieser Stammberechtigte bis zur Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung gewesen sei, zugunsten des Ehegatten die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht in Betracht komme. In den Fällen, in denen die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft vor dem 1. Januar 2005 erfolgte und der Stammberechtigte sich lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis befunden hatte, könnte dann § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG generell nicht zur Anwendung gelangen. Für diese Rechtsmeinung spricht, dass als ihre Folge ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung einheitlich nur Aufhebungen der ehelichen Lebensgemeinschaft seit dem 1. Januar 2005 nach einer im Ergebnis günstigeren Rechtslage beurteilt würden. Gegen sie lässt sich allerdings Folgendes einwenden: Dass in § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auch der Fall nicht erwähnt wird, dass der stammberechtigte Ausländer im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung war, dort aber unstreitig gedanklich ergänzt werden muss, um eine seitens des Gesetzgebers erkennbar nicht erwünschte nachteilige Veränderung der Rechtslage zu vermeiden, belegt, dass der Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf die Übergangsfälle des § 101 Abs. 2 AufenthG nicht hinreichend abgestimmt ist. Das Gesetz enthält also ohnehin eine Regelungslücke, die sich aber möglicherweise eben nicht nur auf die Fälle der Aufenthaltsberechtigung, sondern auch auf diejenigen erstreckt, in denen der stammberechtigte Ausländer zum Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft über eine Aufenthaltsbefugnis verfügte, die geeignet gewesen ist, später nach § 101 Abs. 2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG fortzugelten. Diese Regelungslücke ließe sich dadurch füllen, dass man im Rahmen des § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine solche Aufenthaltsbefugnis kraft Analogie einer Aufenthaltserlaubnis des Ausländers gleichstellt.

Der Senat erachtet es jedoch nicht für angezeigt, sich im Eilverfahren abschließend in der Beurteilung der umrissenen Rechtsfrage festzulegen. Vielmehr ist dies dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.