OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 11.05.2006 - 11 ME 41/06 - asyl.net: M8292
https://www.asyl.net/rsdb/M8292
Leitsatz:
Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Ehegatte, Rücknahme, Sofortvollzug, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Ermessen
Normen: AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; VwVfG § 48 Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4; VwGO § 80 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 31 Abs. 4
Auszüge:

Die Beschwerde ist begründet.

Das Verwaltungsgericht ist in dem angefochtenen Beschluss zutreffend davon ausgegangen, dass dem Antragsteller kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zustehe, weil die eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen keine zwei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden habe. Es hat aber nicht hinreichend die rechtlichen Folgen berücksichtigt, die sich daraus ergeben, dass die Antragsgegnerin am 16. August 2004 die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers bis zum 30. Mai 2005 verlängert hatte, obwohl ihr schon damals bekannt war, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nicht - wie in dem damals noch geltenden § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG ebenfalls vorausgesetzt – zwei Jahre im Bundesgebiet bestanden hatte. Zwar hat die Antragsgegnerin diese Aufenthaltserlaubnis in dem Bescheid vom 17. November 2005 nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückgenommen, doch ist es zweifelhaft, ob die Rücknahme im vorliegenden Verfahren zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt werden kann.

Allerdings ist es allgemein anerkannt, dass auch die Rücknahme eines rechtswidrigen Aufenthaltstitels grundsätzlich zulässig ist (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 12.4.2005 - 1 C 9/04 -, BVerwGE 123, 190 = DVBl. 2005, 1452; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 52 AufenthG RdNr. 3). Rechtsgrundlage hierfür ist § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Unabhängig davon, ob die von dem Antragsteller angefochtene Rücknahme rechtmäßig ist oder nicht, muss sich die Antragsgegnerin entgegenhalten lassen, dass sie es versäumt hat, die Rücknahmeentscheidung, die Bestandteil des angefochtenen Bescheides ist, mit einer Anordnung des Sofortvollzuges gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zu versehen. Dies hat zur Folge, dass die Klage des Antragstellers insoweit gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat. Der Senat weist aber vorsorglich darauf hin, dass auch die Rücknahmeentscheidung selbst in mehrerlei Hinsicht rechtlichen Bedenken unterliegt. Zum einen kommt eine Rücknahme unter Umständen nur ex nunc, d.h. für die Zukunft in Betracht (vgl. Renner, a.a.O., § 52 AufenthG RdNr. 3). Möglicherweise kann sich der Antragsteller zudem auf Vertrauensschutz berufen, da die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf ein fehlerhaftes Verhalten der Antragsgegnerin zurückzuführen ist und dem Antragsteller in diesem Zusammenhang keinerlei Täuschungshandlungen vorgeworfen werden können. Insofern bestehen auch Zweifel, ob die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen sachgemäß ausgeübt hat. Schließlich dürfte auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht eingehalten sein, da der angefochtene Bescheid vom 17. November 2005 stammt, während alle Tatsachen, welche die Rücknahme der rechtswidrigen Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gerechtfertigt hätten, nach dem Akteninhalt spätestens im Mai 2004 vorgelegen haben dürften, als die Antragsgegnerin Einsicht in die beim Amtsgericht B. geführten Scheidungsakten des Antragstellers genommen hatte.

Aus alledem ergibt sich, dass zumindest für das vorläufige Rechtsschutzverfahren der Antragsteller so zu behandeln ist, als sei die nach § 19 Abs. 2 Satz 1 AuslG verlängerte Aufenthaltserlaubnis nicht zurückgenommen worden. Damit hätte die Aufenthaltserlaubnis auch unter Geltung des neuen Aufenthaltsgesetzes bis zum 30. Mai 2005 fortgegolten (vgl. § 101 Abs. 2 AufenthG).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wirkt sich die Frage, ob die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig ist, auch auf die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung rechtlich aus. Denn bei einer Fortgeltung der Aufenthaltserlaubnis bis zum 30. Mai 2005 würden nicht die Abs. 1 oder 2, sondern der Abs. 4 des § 31 AufenthG zur Anwendung kommen.

Unter diesen Umständen wäre es im gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls unverhältnismäßig, die Ausreise des Antragstellers zwangsweise durchzusetzen. Demgegenüber sind gewichtige öffentliche Interessen, die eine sofortige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers gebieten könnten, nicht ersichtlich. Der Antragsteller ist erwerbstätig und nimmt keine öffentlichen Mittel in Anspruch.