VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Beschluss vom 26.04.2006 - 2 B 131/06 - asyl.net: M8295
https://www.asyl.net/rsdb/M8295
Leitsatz:
Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Übergangsregelung, Aufenthaltsbefugnis, Bleiberechtsregelung, Schulausbildung, Ausweisungsgrund, Ermessen, Libanesen
Normen: AufenthG § 35 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 101 Abs. 2; AufenthG § 8 Abs. 1; AufenthG § 26 Abs. 4 S. 4
Auszüge:

Der Antragsteller hat derzeit aller Voraussicht nach einen Anspruch auf ermessensgerechte Entscheidung der Antragsgegnerin über die Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Der eine Verlängerung des Aufenthaltstitels des Antragstellers ablehnende Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Januar 2006 ist daher im Zeitpunkt dieser Entscheidung voraussichtlich rechtswidrig.

Die dem Antragsteller mit Verfügung vom 1. November 2004 erteilte Aufenthaltsbefugnis wirkt nach Inkrafttreten des AufenthG zum 1. Januar 2005 gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnis fort. Gemäß § 8 Abs. 1 AufenthG finden auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis dieselben Vorschriften Anwendung wie auf die Erteilung. Zu Unrecht verengt die Antragsgegnerin ihren Blick hierbei darauf, dass der Antragsteller seine Aufenthaltsbefugnisse im Zuge einer Bleiberechtsregelung für libanesische Staatsangehörige erhalten hat. Denn mittlerweile verfügt er über ein eigenes, hiervon unabhängiges Aufenthaltsrecht. Dieses ergibt sich aus § 26 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und richtet sich auf die Erteilung einer zunächst bis zum Schulabschluss befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1 AufenthG.

Gemäß § 35 Abs. 1 AufenthG ist einem minderjährigen Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt besitzt, abweichend von § 9 Abs. 2 eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er im Zeitpunkt der Vollendung seines 16. Lebensjahres seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist. Da der Antragsteller volljährig ist, findet diese Vorschrift auf ihn unmittelbar nicht Anwendung. Das Gleiche gilt gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG jedoch, wenn der Ausländer volljährig und seit fünf Jahren im Besitz der Aufenthaltserlaubnis ist, er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt und sein Lebensunterhalt gesichert ist oder er sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss führt.

Diese Voraussetzungen erfüllt der volljährige Antragsteller, der seit Dezember 1990 einen als Aufenthaltserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltstitel besitzt, der deutschen Sprache mächtig ist und derzeit einen Kurs mit dem Ziel besucht, den Hauptschulabschluss zu erlangen. Auf die Motivation für diesen Kursbesuch kommt es nach der Rechtslage nicht an.

Dieser Anspruch ist nicht nach § 35 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen. Zwar ist dies der Fall, wenn beim Ausländer ein auf seinem persönlichen Verhalten beruhender Ausweisungsgrund vorliegt (Nr. 1) oder er in den letzten drei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist (Nr. 2). Diese Tatbestände erfüllt der Antragsteller infolge der strafrechtlichen Verurteilungen, zuletzt mit Urteil des Amtsgerichts D. vom 17. Februar 2004. Nach § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG wird jedoch, wenn im Falle des Satzes 1 Nr. 2 die Jugendstrafe, wie hier, zur Bewährung ausgesetzt ist, die Aufenthaltserlaubnis in der Regel bis zum Abschluss der Bewährungszeit (das ist hier der 16. Februar 2007) verlängert. Diese auf den Ausschlussgrund nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 begrenzte Regelung erfasst hier auch den vom Antragsteller erfüllte Ausschlussgrund nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Denn der vom Antragsteller durch sein persönliches Verhalten verwirklichte Ausweisungsgrund ist der eines nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Dieser hat jedoch in Gestalt des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, auf den § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG Bezug nimmt, eine Spezialregelung erfahren. Dadurch erfasst die Bestimmung mit ihrer Bezugnahme auf § 35 Abs. 3 Nr. 2 auch den Ausschlussgrund des § 35 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG.

Dass der Antragsteller zur Sicherung seines Lebensunterhalts zudem auf staatliche Leistungen angewiesen ist, spielt gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG keine rechtlich bedeutsame Rolle, da er sich derzeit in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen Bildungsabschluss führt.

Zwar steht damit noch nicht fest, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, den Aufenthaltstitel des Antragstellers jedenfalls bis zum Erhalt des Hauptschulabschlusses zu verlängern. Denn § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG eröffnet der Antragsgegnerin eine Ermessensentscheidung. Dennoch ist die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers anzuordnen, weil die Antragsgegnerin die dargestellten rechtlichen Aspekte bisher nicht gewürdigt hat und ihr Bescheid vom 19. Januar 2006 damit ermessensfehlerhaft ist. Dies rechtfertigt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 20. Februar 2006. Ob ein Anspruch besteht, wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.