VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 21.04.2006 - 2 K 45/06.A - asyl.net: M8308
https://www.asyl.net/rsdb/M8308
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Homosexuelle, Strafverfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Militärangehörige, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Kriminalität, Sicherheitslage, Versorgungslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; Irak StGB Art. 400
Auszüge:

Zu Recht hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 11.04.2005 festgestellt, dass hinsichtlich einer Abschiebung des Klägers in den Irak die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen.

Im Weiteren besteht auch kein Anhalt für die Annahme, dass der Kläger bei einer heutigen Rückkehr in den Irak eine auf seine Homosexualität abzielende Verfolgung zu erwarten hätte.

Zwar ist davon auszugehen, dass Homosexualität nach Art. 400 des irakischen Strafgesetzbuches, der die Durchführung widernatürlicher sexueller Betätigungen unter Strafe stellt, strafbar ist (vgl. dazu Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 04.07.2005 - 1868 al/br - und vom 06.05.2002 - 1103 al/br -).

Ungeachtet dessen, dass die die Homosexualität betreffende Verbotsnorm des Art. 400 des irakischen Strafgesetzbuches aber bereits keinen auf die homosexuelle Veranlagung als solche abzielenden Eingriff darstellt, sondern nach ihrem Inhalt auf ein bestimmtes äußeres Verhalten abstellt, steht eine strafrechtliche Verfolgung des Klägers wegen Homosexualität auch nicht zu erwarten. Im Hinblick auf Homosexualität kommt Art. 400 des irakischen Strafgesetzbuches nämlich in der Praxis nicht zur Anwendung, weil Homosexualität allgemein im islamischen Rechts- und Kulturkreis als eine äußerst abscheuliche und nachgerade Ekel erregende Abweichung angesehen wird und sich homosexuell veranlagte Personen deshalb selbst äußerst defensiv verhalten und alles dafür tun, ihre Neigung nicht nach außen bekannt werden zu lassen; demzufolge spielt sich das sexuelle Leben von Homosexuellen unterhalb jeder "sichtbaren Schwelle" ab (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 06.05.2002 a.a.O. sowie vom 04.07.2005 a.a.O., wonach es nach außen tretende Fälle von Homosexualität, in denen es auch zu einer Bestrafung kommt, im Irak schlechterdings nicht gibt).

Entsprechendes gilt auch für die Befürchtung des Klägers, im Rückkehrfalle mit einer seiner Homosexualität geltenden unnachgiebigen Verfolgung durch Dritte rechnen zu müssen. Da Homosexuelle - wie auch der Kläger - selbst alles daran setzen, sich eben nicht zu "outen", um weder über sich noch über ihre Familie die "Schande" dieser Abweichung zu bringen, kommen Repressalien höchstens insoweit in Betracht, als dann, wenn jemand für seine homosexuelle Neigung bekannt wird, er gemieden, geschnitten und von seinem sozialen Kreis letztlich ausgeschlossen wird (vgl. dazu Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 04.07.2005 a.a.O.).

Derartigen "Repressalien" kommt von ihrer Eingriffsintensität her aber bereits kein asylrelevantes Gewicht zu.

Schließlich kann der Kläger auch nicht die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen.

Davon, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak landesweit einer derart extremen Gefährdungslage ausgesetzt sein könnte, kann indes nicht ausgegangen werden.

Auch wenn danach von den unvermindert anhaltenden Anschlägen im Irak eine nicht zu unterschätzende Gefährdung für die dort lebenden Menschen ausgehen mag, rechtfertigt doch die Anzahl der durch Terrorakte sowie andauernde Kampfhandlungen zu beklagenden zivilen Opfer, die von Nichtregierungsorganisationen auf über 15.000 - einige gehen von 100.000 aus - geschätzt werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 24.11.2005 a.a.O., ferner amnesty international an VG Köln, Gutachten vom 29.06.2005 a.a.O., wonach die Zahlen der zivilen Opfer von Iraq Body Count am 25.04.2005 zwischen 21.239 und 24.106 geschätzt wurden), in Relation zu der ca. 25 Millionen betragenden Bevölkerungszahl des Irak (vgl. Deutsches Orient-Institut an VG Ansbach, Gutachten vom 31.01.2005) offensichtlich nicht die Annahme, jeder Iraker werde im Falle seiner Rückkehr unmittelbar und landesweit Gefahr laufen, Opfer entsprechender terroristischer Anschläge oder Kampfhandlungen zu werden.

Im Ergebnis nichts anderes gilt auch im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage im Irak. Konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder gar eine Hungerkatastrophe bestehen gegenwärtig nicht, zumal ein Großteil der Bevölkerung weiterhin Lebensmittelrationen aus einem Programm der Vereinten Nationen erhält (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 24.11.2005 und 10.06.2005 a.a.O.; ferner Informationszentrum Asyl- und Migration, Der Irak nach dem 3. Golfkrieg (10. Fortschreibung) vom 25.10.2004).