Asylanerkennung für staatenlose Kurden aus Syrien wegen an kurdische Volkszugehörigkeit anknüpfender Verweigerung der Wiedereinreise (ausdrücklich abweichend von der Rechtsprechung des OVG Sachsen-Anhalt); Kinder einer staatenlosen Mutter und eines syrischen Vaters sind keine syrischen Staatsangehörigen; Asylanerkennung für in Deutschland geborene staatenlose Kurden.
Asylanerkennung für staatenlose Kurden aus Syrien wegen an kurdische Volkszugehörigkeit anknüpfender Verweigerung der Wiedereinreise (ausdrücklich abweichend von der Rechtsprechung des OVG Sachsen-Anhalt); Kinder einer staatenlosen Mutter und eines syrischen Vaters sind keine syrischen Staatsangehörigen; Asylanerkennung für in Deutschland geborene staatenlose Kurden.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Kläger haben sowohl einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG als auch einen solchen auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.
Die Kläger sind staatenlose Kurden aus Syrien. Ihre Mutter ist nichtregistrierte Kurdin. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus ihren Angaben in ihrer Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 13.02.2002 und wird, wie sich aus der Tatsache des Vergleichsabschlusses vor dem Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt ergibt, auch von der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen. Wie die Kläger selbst einräumen, ist ihr Vater syrischer Staatsbürger. Ausweislich eines vom erkennenden Gericht eingeholten Gutachtens von Hajo/Savelsberg vom 12.07.2005 sind Kinder aus Verbindungen einer weiblichen Unregistrierten und einem syrischen Staatsbürger nicht registriert. Zwar orientiert sich das syrische Staatsangehörigkeitsrecht an dem Status des Vaters. Die syrischen Behörden weichen jedoch von der in Syrien geltenden Rechtslage bei deren Anwendung dann ab, wenn die Mutter staatenlose Kurdin ist (Hajo/Savelsberg an VG Magdeburg vom 12.07.2005, S. 4 f.).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass staatenlosen Kurden, deren Land des gewöhnlichen Aufenthalts Syrien war bzw. die im Ausland geboren sind, eine Wiedereinreise (nach illegaler Ausreise) im Regelfall nicht möglich ist.
Die Verweigerung der Wiedereinreise stellt für die Kläger politische Verfolgung dar.
Das Gericht ist der Überzeugung, dass der syrische Staat mit der Wiedereinreiseverweigerung nicht nur ordnungspolitische Ziele verfolgt, also Gefahren für die übergreifende Friedensordnung vorbeugen will, sondern hinter seinen Maßnahmen das Ziel steht, Staatenlose kurdischer Volkszugehörigkeit wegen ihrer Volkszugehörigkeit zu treffen. Dabei verkennt auch das Gericht nicht, dass kurdische Volkszugehörige, sei es aufgrund ihres Selbstverständnisses oder sei es aufgrund einer langen Tradition der Unterdrückung dieser Volksgruppe, aus der Sicht der Staaten, deren Staatsgebiet Teile des von Kurden für sich reklamierten Gebietes sind, einen potentiellen Unruheherd insbesondere durch dort ansässige Oppositionsparteien einschließlich ihrer politischen Aktivisten darstellen. Es könnte daher nahe liegen, dass die Wiedereinreiseverweigerung auch der Lösung dieses Problems dient. Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich. Denn mit einer Wiedereinreiseverweigerung kann dieser Zweck wegen der zahlenmäßig kleinen Gruppe der staatenlosen Kurden im Verhältnis zu den Kurden syrischer Staatsangehörigkeit gar nicht nachhaltig erreicht werden, so dass dieser Aspekt nur Nebeneffekt der an die Volkszugehörigkeit anknüpfenden Aussperrung der staatenlosen Kurden ist, die in Wahrheit der sukzessiven Arabisierung Nord-Ost-Syriens dient.
Einen gewichtigen Aspekt bei der Beurteilung der Gründe für die Verweigerung der Wiedereinreise stellt der historische Hintergrund der Staatenlosigkeit dar.
Die Verweigerung der Wiedereinreise kann vor diesem Hintergrund nicht so verstanden werden, dass der syrische Staat lediglich, weil er - objektiv gesehen - keine Veranlassung habe, staatenlose Kurden, die freiwillig ausreisen, wiederaufzunehmen, diesen die Wiedereinreise verweigert. Vielmehr ist die Wiedereinreiseverweigerung ihrer inhaltlichen Gerichtetheit nach als Bestandteil der geschilderten Ausgrenzung dieser Bevölkerungsgruppe anzusehen.
Der mit der Wiedereinreiseverweigerung objektiv einhergehenden Verringerung von wirtschaftlichen Belastungen für den syrischen Staat ist dabei nach Auffassung der Kammer kein erhebliches Gewicht beizumessen.
Der syrische Staat verweigert den nichtregistrierten Ehegattinnen und den Kindern von (männlichen) syrischen Staatsbürgern die Einreise nach Syrien, wenn die Familie zur kurdischen Volksgruppe gehört. Diesen Personen wird aus dem gleichen Grunde die (Wieder)Einreise verweigert, wie bei den anderen staatenlosen Kurden. Die Verweigerung der (Wieder)Einreise des genannten Personenkreises fügt sich nahtlos in die Arabisierungspolitik der syrischen Regierung ein. Da es sich bei diesen Personen ausschließlich um Angehörige der kurdischen Volksgruppe handelt, wird durch die Verweigerung ihrer Rückkehr ein Beitrag zur Arabisierung des Landes geleistet (Hajo/Savelsberg an VG Magdeburg vom 12.07.2005, S. 10).
Die Wiedereinreiseverweigerung stellt sich für die im Bundesgebiet geborenen Kläger zumindest als asylbegründender objektiver Nachfluchtgrund dar. Denn diesen Fluchtgrund haben sie nicht durch ihr eigenes Verhalten geschaffen. Subjektive bzw. selbst geschaffene Nachfluchtgründe sind nur solche politische Verfolgung auslösende Umstände, die von demjenigen Ausländer geschaffen worden sind, der unter Berufung auf sie Asyl begehrt. Ein von einem anderen als dem Asylbewerber nach dessen Ausreise gezeigtes, eine Verfolgung des Asylbewerbers auslösendes Verhalten ist hingegen kein selbst geschaffener, sondern ein objektiver Nachfluchttatbestand (BVerwG, U. v. 09.04.1991, 9 C 100.90, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 144). Der syrische Staat verweigert den Klägern nur deshalb die Wiedereinreise, weil ihre Mutter illegal aus Syrien ausgereist ist.
Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (vgl. OVG LSA, U. v. 07.05.2003, A 3 S 566/99, S. 24 UA.; OVG LSA, U. v. 23.11.2005, 3 L 265/03, S. 12), wonach die Wiedereinreiseverweigerung lediglich ordnungs- und wirtschaftspolitischen Zielen diene, vermag das erkennende Gericht auch vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht zu teilen. Denn nach der Erläuterung des Sachverständigen Brocks in der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2003 vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg verfolgt der syrische Staat mit der Verweigerung das Ziel, sich das Gebiet der Jecira volksmäßig einzuverleiben, indem der Bestand der Bevölkerung zugunsten der Araber "umverteilt" wird (vgl. hierzu: Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg vom 30.01.2003, S. 4, 3. Absatz). Auch die Argumentation des Oberverwaltungsgerichts, gegen die Bewertung der Wiedereinreiseverweigerung als Ausgrenzungsmaßnahme der kurdischen Volksgruppe in Syrien spreche, dass nicht sämtliche in Syrien lebende (yezidische) Kurden, die das Land (illegal) verlassen haben und wieder nach Syrien wollen, von derartigen Maßnahmen betroffen sind (vgl. OVG LSA, U. v. 07.05.2003, a. a. O., S. 21 f., so auch OVG U. v. 23.11.2005, 3 L 265/03, S. 12 ff.), überzeugt nicht. Denn der syrische Staat betrachtet nur die staatenlosen Kurden als Angehörige des kurdischen Volkes. Diejenigen Angehörigen der kurdischen Volksgruppe, welche die syrische Staatsangehörigkeit besitzen, sieht der syrische Staat als Araber an (vgl. Erläuterung des Sachverständigen Brocks in der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2003 vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg, S. 4, 1. Absatz der Sitzungsniederschrift).
Soweit das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23.11.2005 meint, ein Anknüpfen an die Ethnie deshalb ausschließen zu können, weil der syrische Staat jahrzehntelang den Aufenthalt staatenloser Gruppen in der Jecira geduldet hat, so verkennt es aus Sicht des erkennenden Gerichts, dass gerade die Ausbürgerung und das Festhalten an den Folgen derselben, aus der Perspektive des syrischen Staates auf lange Sicht wie eine Vertreibung gewirkt hat und wirkt. Denn die ausgebürgerten Personen und ihre Nachfahren sind zwar noch körperlich in der Jecira anwesend, auf dem Papier, nämlich in syrischen Registern, existieren indessen viele von ihnen gar nicht mehr. Insoweit ist auch anzumerken, dass es mit der Ausbürgerung und der Wiedereinreiseverweigerung nicht etwa sein Bewenden hat, sondern die Staatenlosigkeit nach der Praxis des syrischen Staates selbst dann weiter "vererbt" wird, wenn einer der Eltern syrischer Staatsangehöriger ist (vgl. Hajo/Savelsberg, Gutachten vom 12.07.2005 an VG Magdeburg, S. 2), obgleich das syrische Staatsangehörigkeitsrecht den Kindern der Ausgebürgerten an sich einen Anspruch auf die syrische Staatsangehörigkeit zuerkennt. Es findet somit eine Vertreibung auf dem Papier statt, die wegen der erheblichen Beschneidung der Rechte der staatenlosen Kurden einen Auswanderungsdruck erzeugt, der langfristig betrachtet, die Vertreibung der Kurden aus der Jecira zur Folge hat. Aus der Sicht des Verwaltungsgerichts dürfen hier nicht mitteleuropäische Maßstäbe angelegt werden, nach welchen ein einmal gestecktes Ziel möglichst kurzfristig erreicht werden muss, sondern das Verhalten des syrischen Staates ist von der arabisch-islamischen Mentalität aus zu werten, in der langfristig wirkende Maßnahmen eine große Tradition haben.