VG Sigmaringen

Merkliste
Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 16.03.2006 - A 2 K 10668/05 - asyl.net: M8328
https://www.asyl.net/rsdb/M8328
Leitsatz:

Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage Afghanistans werden Rückkehrer im Falle ihrer Abschiebung, die eine Unterstützung durch Freunde oder Familie nicht zu erwarten haben, gleichsam dem sicheren Tod oder schwersten Gesundheitsgefährdungen überantwortet.

 

Schlagwörter: Afghanistan, Taliban, Hazara, Gruppenverfolgung, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, Versorgungslage, Situation bei Rückkehr, Unterkunft, alleinstehende Personen, soziale Bindungen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage Afghanistans werden Rückkehrer im Falle ihrer Abschiebung, die eine Unterstützung durch Freunde oder Familie nicht zu erwarten haben, gleichsam dem sicheren Tod oder schwersten Gesundheitsgefährdungen überantwortet.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Klage hat allerdings Erfolg, soweit mit ihr die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird. Dem Kläger droht im Falle seiner Rückkehr eine erhebliche und konkrete Gesundheits- und Lebensgefahr aufgrund der desolaten Versorgungslage für Rückkehrer nach Afghanistan. Die Lage für Rückkehrer nach Afghanistan stellt sich nach Schilderungen des Auswärtigen Amtes im Lagebericht vom 29.11.2005 wie folgt dar: (...)

Weiter wird von Dr. Danesch in seinem für das Verwaltungsgericht Hamburg vom 25.01.2006 das folgende Bild zur allgemeinen Lage in Afghanistan dargestellt: (...)

Das sich aus den beiden Berichten für das Gericht herauskristallisierende Bild der Lage für afghanische Rückkehrer ergibt allgemein, dass es Rückkehrer in das zerstörte Afghanistan derzeit schwer haben, sich wieder in das Leben Afghanistans zu integrieren und ihren Lebensunterhalt selbstständig sicherzustellen. Angesichts der erheblichen Schwierigkeiten und der fehlenden Hilfe für Rückkehrer werden zumindest diejenigen, die sich nicht auf den wirtschaftlichen Rückhalt der Familie oder von sonstigen Personen verlassen können und die auch keine eigene gesicherte wirtschaftliche Existenz aus Zeiten vor dem Verlassen Afghanistans aufweisen können, im Falle ihrer Rückkehr schwersten Gesundheitsgefährdungen durch Mangelernährung und unzureichende Unterkünfte ausgesetzt. Es handelt sich bei den Rückkehrern aus dem Ausland um eine Bevölkerungsgruppe nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG handelt, mit der Folge, dass grundsätzlich eine Entscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG durch die oberste Landesbehörde vorrangig ist. Hieraus ergibt sich, dass in den Fällen, in denen bei einer allgemeinen Gefahrenlage eine Anordnung nach § 60a Abs.1 AufenthG fehlt, ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann bejaht werden kann, wenn die Gefahrenlage landesweit so beschaffen ist, dass jeder von einer Abschiebung Betroffene gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - Buchholz 402.240 Nr. § 53 Nr. 11, Urt. v. 29.03.1996 - 9 C 116.95 -, Buchholz 402.240 § 53 Nr. 31, Urt. v. 19.11.1996 - 1 C 6 95 -. Buchholz 402.240 § 53 Nr. 5). Eine solche Gefahrenlage besteht hier, wie dargestellt, für Rückkehrer, die eine Unterstützung durch Freunde und die Familie nicht zu erwarten haben (vgl. auch VG Karlsruhe, Urt. v. 09.11.2005 - A 10 K 12302/05 -, DVBl 2006, 391). Für diese Fallgruppe wird an der gegenteiligen Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urt. v. 18.07.2005 - A 2 K 11626/03 -, juris) angesichts der neuen Erkenntnismittel nicht mehr festgehalten.