Nichtstaatliche Verfolgung setzt voraus, dass der Verfolgungsakteur einen gewissen Organisationsgrad aufweist; keine nichtstaatliche Verfolgung bei gesellschaftlicher Diskriminierung einer Gruppe; keine Gruppenverfolgung von Hindus in Afghanistan; extreme Gefahrenlage für Hindus und Rückkehrer ohne Familienverband (Änderung der Rechtsprechung der Kammer).
Nichtstaatliche Verfolgung setzt voraus, dass der Verfolgungsakteur einen gewissen Organisationsgrad aufweist; keine nichtstaatliche Verfolgung bei gesellschaftlicher Diskriminierung einer Gruppe; keine Gruppenverfolgung von Hindus in Afghanistan; extreme Gefahrenlage für Hindus und Rückkehrer ohne Familienverband (Änderung der Rechtsprechung der Kammer).
(Leitsatz der Redaktion)
Die Klage ist zulässig.
Sie ist zwar verfristet erhoben worden. Jedoch ist dem Kläger von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Klagfrist zu gewähren.
Der Kläger war ohne Verschulden daran gehindert, die Klagfrist des § 74 AsylVfG einzuhalten. Der Kläger ist nämlich durch die Deutsche Post AG mittels des Vermerks auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks fehlerhaft über den Zeitpunkt der erfolgten Zustellung informiert worden. Er hat sich am 12.11.2005 als Zustellungsdatum orientiert und auf dieses Datum bezogen rechtzeitig, nämlich am Montag, den 28.11.2005, Klage erhoben. Für ihn war nicht ersichtlich, dass die Zustellung, welche durch Niederlegung erfolgte, tatsächlich am 11.11.2005 erfolgt ist, so dass es ihm unmöglich war, die richtige Klagfrist zu bestimmen.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor.
Eine Verfolgung kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Gruppenverfolgung der Religionsgemeinschaft der Hindus in Afghanistan in Betracht.
Das Vorliegen der erforderlichen Verfolgungsdichte ist zu verneinen. Auch ist kein taugliches Verfolgungssubjekt im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG als Verantwortlicher für die geltend gemachten Verfolgungshandlungen festzustellen.
Die Lage der Hindus stellt sich zwar in der Tat als dramatisch schlecht dar und ist noch verheerender als die Lage der anderen Afghanen. Jedoch lassen sich nicht genügend gezielte Übergriffe gegen Hindus in Afghanistan feststellen, die asylerheblich wären, um auf eine Verfolgung der gesamten religiösen Minderheit schließen zu können. Die erbärmlichen Lebensverhältnisse für die Mehrzahl der Hindus ergibt sich daraus, dass sie, als Angehörige einer Glaubensrichtung, die in erschreckender Weise von der afghanischen Gesellschaft ausgegrenzt wird, damit von der Möglichkeit, sich eine menschenwürdige Existenz durch Arbeit zu sichern, ferngehalten wird. Dies ist aber keine gezielte Rechtsgutsverletzung zu Lasten der Gruppe der Hindus. Es ist vielmehr die Kombination von Ausgrenzung und Abgrenzung auf der einen Seite und den allgemein katastrophalen Lebensbedingungen in Afghanistan auf der anderen Seite. Nur diese Kombination führt zu den nicht mehr als menschenwürdig zu bezeichnenden Lebensbedingungen der Hindus, die schon vor 2003 schweren Übergriffen ausgesetzt waren, ohne dass dies damals für jeden Hindu gleich die Gefahr des schlichten Verhungerns bedeutet hätte. Dass den Hindus jegliches "religiöses Existenzminium" genommen würde, lässt sich trotz der dahingehenden Behauptung in der Stellungnahme von Dr. Danesch nicht feststellen.
Ein weiterer Grund, weshalb eine Gruppenverfolgung nicht zu bejahen ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass sich ein Verfolgungssubjekt nicht feststellen lässt, so dass selbst dann, wenn die Verfolgungsintensität entgegen den obigen Ausführungen zu bejahen wäre, die Klage hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG keinen Erfolg haben kann. Eine unmittelbare staatliche Verfolgung scheidet nach den tatsächlichen Feststellungen aus. Ein gezieltes Untätigbleiben gegen aktuelle Übergriffe lässt sich jedoch nicht als Regelfall erkennen, so dass auch eine mittelbare staatliche Verfolgung nicht bejaht werden kann. Schließlich ist auch eine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure nicht zu bejahen. Es fehlt hier an einer fest umrissenen Gruppe nichtstaatlicher Akteure. Die nichtstaatlichen Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c) AufenthG bedürfen eines gewissen Organisationsgrades (Wenger, in: Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsgesetz, 1. Aufl. 2005 § 60 AufenthG Rn. 4). Damit wird einerseits ausgeschlossen, dass spontane Übergriffe Einzelner schon zum Anspruch auf Schutz durch den Aufnahmestaat führen. Andererseits wird mit dieser Auslegung auch erreicht, dass nicht eine pauschale Zurechnung von Gewalttaten zu Lasten ganzer Volksgruppen erfolgt, weil eine Volksgruppe als solche nicht über den erforderlichen Organisationsgrad verfügen kann (VG Sigmaringen, Urt. v. 18.07.2005 - A 2 K 11678/03). Die auch in den sachverständigen Äußerungen nie näher konkretisierten "Teile der moslemischen Bevölkerung" verfügen nicht über einen gewissen Organisationsgrad. Es handelt sich hier um viele Einzelne, welchen eine Organisation gerade fehlt. Daher scheidet die Annahme einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure auch aus rechtlichen Gründen aus (a.A zur Gruppenverfolgung von Hindus in Afghanistan: VG Wiesbaden, Urt. v. 17.02.2006 7 E 559/05.A(1) -, AuAS 2006, 90 ff.).
Die Klage hat allerdings Erfolg, soweit mit ihr die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird. Dem Kläger droht im Falle seiner Rückkehr eine erhebliche und konkrete Gesundheits- und Lebensgefahr aufgrund der desolaten Versorgungslage der Hindus in Afghanistan.
Dies ergibt sich zwingend aus dem oben Ausgeführten und aus den angeführten Stellungnahmen. Dem Kläger ist es nicht mehr möglich, als Hindu im Falle seiner Rückkehr seine Existenz zu sichern. Ein Überleben ohne Gesundheitsschädigungen ist ihm aufgrund der desolaten Versorgungslage sehr wahrscheinlich nicht möglich, so dass eine konkrete und erhebliche Gesundheitsgefährdung im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG zu bejahen ist.
Es handelt sich bei den zurückkehrenden Hindus um eine Bevölkerungsgruppe nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, mit der Folge, dass grundsätzlich eine Entscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG durch die oberste Landesbehörde vorrangig ist. Hieraus ergibt sich, dass in den Fällen, in denen bei einer allgemeinen Gefahrenlage eine Anordnung nach § 60a Abs.1 AufenthG fehlt, ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann bejaht werden kann, wenn die Gefahrenlage landesweit so beschaffen ist, dass jeder von einer Abschiebung Betroffene gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - Buchholz 402.240 Nr. § 53 Nr. 11, Urt. v. 29.03.1996 - 9 C 116.95 -, Buchholz 402.240 § 53 Nr. 31, Urt. v. 19.11 1996 - 1 C 6 95 -, Buchholz 402.240 § 53 Nr. 5). Eine solche Gefahrenlage besteht hier, wie dargestellt, für zurückkehrende Hindus, da für sie nur ein Überlebenskampf in einem Tempel als Möglichkeit bleibt und die drohende Unterernährung schwerste Gesundheitsrisiken zwangsläufig mit sich bringen muss.
Im Übrigen gilt die Feststellung, dass Rückkehrer im Falle ihrer Abschiebung schwersten Gesundheitsschädigungen überantwortet würden, nicht nur für Angehörige der Religionsgemeinschaft der Hindus. Die Aussage gilt darüber hinaus auch für jeden anderen Rückkehrer, der über keine funktionierende Familienstruktur verfügt, die ihn auffangen könnte. Dies ergibt sich aus den weiteren Ausführungen von Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 25.01.2006 (vgl. VG Sigmaringen, Urt. v. 16.03.2006 - A 2 K 10688/05). Auch zu dieser Gruppe gehört der Kläger, nachdem seine gesamte Familie derzeit mit ihm in Deutschland weilt und niemand der anderen Familienmitglieder in der Lage ist, in Afghanistan für sich selbst, geschweige denn für andere, zu sorgen. Vielmehr sind die anderen von dem Arbeitseinsatz des Klägers abhängig.