VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 24.05.2006 - 11 K 3706/03.A - asyl.net: M8350
https://www.asyl.net/rsdb/M8350
Leitsatz:

Keine extreme Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG wegen HIV-Infektion, wenn der Abbruch der antiretroviralen Therapie zwar eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis zum Tod verursachen würde, aber eine genaue zeitliche Prognose nicht möglich ist.

 

Schlagwörter: Nigeria, HIV/Aids, Krankheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Keine extreme Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 AufenthG wegen HIV-Infektion, wenn der Abbruch der antiretroviralen Therapie zwar eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis zum Tod verursachen würde, aber eine genaue zeitliche Prognose nicht möglich ist.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Ohne Erfolg macht der Kläger auch das Bestehen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der im Dezember 2003 bei ihm festgestellten HIV-Infektion geltend.

Die Gefahren, die aus einer HIV-Infektion im Zusammenhang mit unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten resultieren, sind allgemeiner Art im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, weil sie angesichts der großen Anzahl betroffener Personen eine Bevölkerungsgruppe treffen.

Beim Kläger, dessen im Dezember 2003 festgestellte HIV-Infektion im (mittleren) Stadium B2 eingeordnet worden ist, die also das Stadium C (AIDS) noch nicht erreicht hat, dessen Immunsystem sich unter der antriretroviralen Therapie stabilisiert hat und bei dem "aidsdefinierende Erkrankungen aktuell aufgrund der guten immunologischen Situation nicht auftreten" (Bescheinigung des Universitätsklinikums Essen vom 17. Juni 2004; ähnlich die Bescheinigung vom 10. April 2006), kann nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit von einer solchen, sich alsbald realisierenden Extremgefahr ausgegangen werden. Unter Berücksichtigung der mangelhaften medizinischen Versorgung in Nigeria wäre im Fall einer Rückkehr des Klägers in sein Heimatland und dem damit voraussichtlich verbundenen Abbruch der Therapie zwar mit einer Verschlechterung der immunologischen Situation und auf Sicht mit dem Ausbruch der AIDS-Erkrankung sowie den damit verbundenen Konsequenzen zu rechnen. Dass der Kläger bei einer Abschiebung aber sehenden Auges dem baldigen sicheren Tod oder schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgeliefert wäre, kann ausgehend von seinem derzeitigen gesundheitlichen Zustand auf der Grundlage der vorgelegten medizinischen Bescheinigungen, nicht angenommen werden. Darin ist zwar von einer "schnellen Verschlechterung seines jetzigen sehr guten Immunstatus und im Verlauf erfolgenden Todes" die Rede (vgl. Bescheinigungen des Universitätsklinikums Essen vom 2. Februar 2004 und 17. Juni 2004, s. auch Bescheinigung vom 10. April 2006). Zugleich wird aber darauf hingewiesen, dass genaue zeitliche Prognosen nicht möglich, Verschlechterungen des Immunstatus von Patienten ohne adäquate Therapie innerhalb eines bzw. 1 1/2 Jahren aber nicht selten seien (Bescheinigung vom 17. Juni 2004) - was verdeutlicht, dass die erforderlichen Rechtsgutverletzungen hoher Intensität in unbestimmter zeitlicher Ferne liegen.