VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 02.11.2005 - 6 UE 3204/02.A - asyl.net: M8360
https://www.asyl.net/rsdb/M8360
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, Folgeantrag, neue Sachlage, exilpolitische Betätigung, Drei-Monats-Frist, Berufung, Nichtzulassung, Beschluss, Nichtzulassungsbeschluss, Terrorismusvorbehalt, Autobahnblockade, Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Nachfluchtgründe, MEDYA-TV, Fernsehen, Medienberichterstattung, Vornamen, Situation bei Rückkehr, Polizei, Polizeigewahrsam, Grenzkontrollen
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 8
Auszüge:

Die vom Senat zugelassene und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Allerdings bleibt der Hauptantrag nicht schon deshalb ohne Erfolg, weil auf den Folgeantrag des Klägers hin nach § 71 Abs. 1 AsylVfG mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG schon kein weiteres Asylverfahren hätte durchgeführt werden dürfen, wobei allein der Umstand, dass das Bundesamt unausgesprochen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG als erfüllt angesehen hat, indem es zur Sache entschieden hat, das Gericht nicht von der Verpflichtung entbindet, diese Voraussetzungen seinerseits von Amts wegen zu prüfen (GK-AsylVfG, Rdnr. 321 zu § 71, m.w.N.).

Auch die Drei-Monats-Frist in § 51 Abs. 3 VwVfG ist gewahrt; maßgeblich ist insoweit die Zustellung des Nichtzulassungsbeschlusses an den Klägerbevollmächtigten im Erstverfahren (21. März 1997), da es dem Kläger erst zu diesem Zeitpunkt rechtlich möglich war, einen Folgeantrag zu stellen und in diesem Rahmen die neuen Umstände geltend zu machen. Von diesem Zeitpunkt an gerechnet ist der Folgeantrag innerhalb von drei Monaten beim Bundesamt eingegangen.

Der Kläger hat jedoch in der Sache keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter.

Ein Ausschluss ergibt sich dabei jedoch nicht aus dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten, den Schutzbereich des Asylrechts begrenzenden "Terrorismusvorbehalt" (vgl. BVerfG, Beschluss v. 20.12.1998, 2 BvR 985/96 - BVerfGE 81, 142), wonach die Betätigung der politischen Überzeugung unter Einsatz terroristischer Mittel von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich missbilligt wird und es außerhalb des Asylrechts liegt, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein neuer Kampfplatz gesucht wird, um sie dort fortzusetzen oder zu unterstützen bzw. erstmals aufzunehmen. Maßgeblich ist, ob das Verhalten des Asylbewerbers bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles sich als aktive Unterstützung terroristischer Aktivitäten darstellt, was insbesondere der Fall ist, wenn sich der Asylsuchende mit eigenen Gewalttaten oder gar terroristischen Aktionen in den Dienst einer gegen den Heimatstaat mit terroristischen Mitteln agierenden Organisation stellt. Nach diesen Grundsätzen kann die Teilnahme des Klägers an der sog. Autobahnblockade auf der A 5 am 22. März 1994 nicht als Beleg dafür herangezogen werden, dass das Gesamtverhalten des Klägers im Bundesgebiet eine terroristische Prägung aufweist. Auch wenn es sich ausweislich der Feststellungen im Strafverfahren um eine Aktion gehandelt hat, die zweifellos als militant und gewalttätig bezeichnet werden muss, hat sich der Kläger an den Gewalttaten selbst nicht beteiligt und ist es darüber hinaus bei dieser einmaligen und mittlerweile lange zurückliegenden Aktion geblieben und hat sich der Kläger bei seinen folgenden exilpolitischen Aktivitäten auf friedliche Mittel beschränkt.

Es fehlt aber an den Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter.

Auch die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers im Bundesgebiet führen weder unter dem Gesichtspunkt einer drohenden, an die politische Überzeugung anknüpfenden Strafverfolgung noch einer drohenden menschenrechtswidrigen Behandlung anlässlich der Einreisekontrolle bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dazu, dass der Kläger Opfer asylrelevanter Verfolgungsmaßnahmen des türkischen Staates wird.

Zur Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung im Hinblick auf exilpolitische Aktivitäten führt das Auswärtige Amt (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 3. Mai 2005, S. 24) aus, dass sich eine mögliche strafrechtliche Verfolgung durch den türkischen Staat insbesondere auf Personen bezieht, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln sowie die Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nach türkischem Recht nur strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkreten separatistischen oder terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen gemäß der gültigen Fassung des türkischen Strafgesetzbuches gewertet werden können. Die türkischen Strafverfolgungsbehörden haben in der Regel nur Interesse an der Verfolgung im Ausland begangener Gewalttaten bzw. ihrer konkreten Unterstützung, wozu auch die Mitgliedschaft in der PKK gehört. Danach kann es nicht als wahrscheinlich angesehen werden, dass gegen den Kläger in der Türkei ein konkreter Strafvorwurf erhoben wird, selbst wenn seine Aktivitäten insgesamt oder in wesentlichen Teilen durch den Strafnachrichtenaustausch mit der Türkei, Beobachtungen des türkischen Geheimdienstes und Auswertung der Zeitschrift "Özgür Politika" sowie der Sendungen des Senders MEDYA-TV bekannt geworden sind.

Keine der angeführten Aktivitäten lässt den Kläger nachhaltig und signifikant als aktives PKK-Mitglied und/oder als Anstifter oder Aufwiegler im Zusammenhang mit als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten erscheinen.

Erst recht kann die Wahl des Vornamens bei der Tochter des Klägers keinen Anlass für die türkischen Behörden bieten, gegen den Kläger vorzugehen. Die Vergabe kurdischer Vornamen unterlag lediglich bis zum Jahre 2003 Restriktionen.

Behördlicherseits wurde das Vergeben kurdischer Vornamen früher als politische Einflussnahme der PKK gedeutet. Das Reformpaket vom 19. Juli 2003 ändert das Personenstandsgesetz jedoch dahingehend ab, dass nur noch Vornamen verboten sind, die gegen die "Moral und öffentliche Ordnung" verstoßen; Verbote wegen Verstoßes gegen "nationale Kultur, Tradition und Gebräuche" sind nicht mehr vorgesehen. In der Praxis ist damit die Vergabe von kurdischen, aber auch anderen, ausländischen Vornamen erlaubt. Eine Einschränkung besteht lediglich insoweit, als die kurdischen, nicht im offiziellen türkischen Alphabet vorhandenen Buchstaben w, x und q bei der Namensvergabe nicht zulässig sind und ins Türkische transkribiert werden müssen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 03. Mai 2005, S. 14). Dies zeigt, dass allein die Vergabe und der Gebrauch eines kurdischen Vornamens nicht dazu führt, dass der verantwortlichen Person eine separatistische Gesinnung unterstellt, geschweige denn gegen sie strafrechtlich vorgegangen wird.

Bei dieser Sachlage kann auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr in die Türkei anlässlich einer Überprüfung bei der Einreisekontrolle Folter oder nachhaltige Misshandlungen drohen.

Ein als Asylbewerber identifizierter Rückkehrer muss danach bei der Einreise regelmäßig damit rechnen, dass er zunächst festgehalten und einer intensiven Überprüfung unterzogen wird. Dies gilt insbesondere, wenn gültige Reisedokumente nicht vorgewiesen werden können. In diesem Fall erfolgt regelmäßig eine genaue Personalienfeststellung (unter Umständen Kontaktaufnahme mit der Personenstandsbehörde und Abgleich mit dem Fahndungsregister) sowie eine Befragung nach Grund und Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, Grund der Abschiebung, eventuellen Vorstrafen in Deutschland, Asylantragstellung und Kontakten zu illegalen türkischen Organisationen im In- und Ausland (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 19. Mai 2004, S. 44 und vom 3. Mai 2005, S. 33). Diese Einholung von Auskünften, während der der Rückkehrer meist in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache festgehalten wird, konnte in der Vergangenheit bis zu mehreren Tagen dauern; Fälle, in denen eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte, sind dem Auswärtigen Amt in jüngster Zeit allerdings nicht mehr bekannt geworden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 3. Mai 2005, S. 34).