VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 25.01.2006 - 3 UE 3054/05.A - asyl.net: M8361
https://www.asyl.net/rsdb/M8361
Leitsatz:

Keine extreme Gefahrenlage jedenfalls für Frauen, die nicht alleine zurückkehren (hier: 14jähriges Mädchen, das zusammen mit Vater zurückkehrt).

 

Schlagwörter: Angola, Luanda, Situation bei Rückkehr, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Versorgungslage, Existenzminimum, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, alleinstehende Frauen, alleinerziehende Frauen, politische Entwicklung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Keine extreme Gefahrenlage jedenfalls für Frauen, die nicht alleine zurückkehren (hier: 14jähriges Mädchen, das zusammen mit Vater zurückkehrt).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den §§ 53 Abs.6 Satz 2, 54 AuslG, die auf die Rechtslage des Aufenthaltsgesetzes zu übertragen ist und der der Senat folgt, ist dies bei allgemeinen Gefahrenlagen auch ohne Vorliegen einer Entscheidung nach § 60 a AufenthG der Fall, sofern eine solche allgemeine Gefahrenlage eine extreme Zuspitzung erfahren hat, so dass ein abzuschiebender Ausländer "gleichsam sehenden Auges" dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt wäre.

Eine derart extrem zugespitzte Gefahrenlage ist in Luanda nicht anzunehmen. Die Lage in Angola hat sich grundsätzlich mit dem Tod des Anführers der Rebellenorganisation UNITA, Jonas Savimbi, im Februar 2002 und der darauf folgenden Einstellung der militärischen Handlungen im März 2002 entscheidend geändert.

Dennoch ist die Versorgungssituation als kritisch zu bezeichnen, wobei sich insbesondere die Situation in Gebieten des Landesinneren als (teilweise sehr) kritisch darstellt. Dort sind oft Wasserversorgung, Gesundheitszentren, Straßen- und Verwaltungsstrukturen beschädigt oder zerstört. Während der Regenzeit von Dezember bis März sind viele dieser Gegenden aufgrund des Straßenzustandes zudem schwer erreichbar. Nach Zahlen des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen waren dort im März 2005 noch etwa 1.000.000 Angolaner von Nahrungsmittelknappheit betroffen. Nach wie vor wird der weitaus größte Teil der humanitären Hilfe für Angola von der Internationalen Gebergemeinschaft getragen. Die angolanische Regierung erbringt teilweise auch Eigenleistungen, es besteht jedoch wenig Transparenz über den Einsatz der Gelder. Demgegenüber hat sich die Versorgungslage in der Hauptstadt Luanda seit 2002 spürbar verbessert. Eine kontinuierliche weitere Verbesserung wird allgemein erwartet, diese Erwartung bezieht sich auch auf die Versorgungslage in anderen Landesteilen. Im Großraum Luanda, wo ca. 1/3 aller Angolaner lebt, dem erweiterten Küstenstreifen, den meisten Provinzhauptstädten und im ganzen Südwesten des Landes ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln und den Gebrauchsgütern des Alltags weitestgehend gewährleistet. Die Mehrheit der angolanischen Bevölkerung lebt nach wie vor am Rande des Existenzminimums, sie überlebt mit Subsistenzwirtschaft, Kleinsthandel oder Gelegenheitsarbeiten. Im Großraum Luanda leben viele alleinstehende Frauen mit Kindern. Aus Sicht des Auswärtigen Amtes besteht für diese dort keine existenzielle Bedrohung. Die meisten allstehenden Frauen sind in irgendeiner Form im Klein- und Kleinsthandel tätig und halten sich so über Wasser. Andere arbeiten als Geldwechslerinnen im informellen Sektor oder verrichten Gelegenheitsarbeiten. Es lässt sich nach Auskunft von Angolanern für neu nach Luanda ziehende Angolaner leicht herausfinden, in welchem Stadtviertel Luandas besonders viele Menschen aus der jeweiligen Heimatprovinz wohnen. Dass jemand dort weder auf Familie noch Freunde noch Leute aus dem eigenen Dorf zurückgreifen kann, kommt praktisch nicht vor. Selbst wenn jemand ursprünglich nicht aus Luanda stammt, irgendeine "prima" oder ein "tio" (d.h. eine Cousine oder einen Onkel, auch entfernte, manchmal auch gar nicht verwandt) oder irgendjemand, den man aus dem eigenen Dorf kennt, und der weiterhelfen kann, lässt sich nach verlässlicher Auskunft von Angolanern immer finden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18. April 2005).

Der Senat geht davon aus, dass der Klägerin, die gemeinsam mit ihrem Vater in ihr Heimatland zurückkehren wird, dort keine existenziellen Gefährdungen drohen, die es gebieten, ihr Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung zuzusprechen. Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin gemeinsam mit ihrem Vater in Luanda wird Fuß fassen können, zumal der Vater dort den rechtskräftigen Feststellungen des angefochtenen Urteils zufolge sich eine Existenz wird aufbauen können.

Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Auskunft des Instituts für Afrika-Kunde vom 12. August 2004 an das Verwaltungsgericht Oldenburg in Frage stellt. Zwar führt das Institut für Afrika-Kunde in der genannten Auskunft aus, dass Personen, die nach Angola zurückkehren oder zurückzukehren gezwungen sind, in eine Lebenswelt gelangen, die durch Massenarmut, politische Spannungen, Gewalt und gesundheitsschädliche Rahmenbedingungen erhebliche Risiken für Leib und Leben bereit hält. Das Institut für Afrika-Kunde weist jedoch in der Auskunft mehrfach darauf hin, dass besonders gefährdet alleinstehende Frauen mit Kindern bzw. ältere Kinder und Jugendliche ohne familiäre Rückbindungen in Angola sind. Für Frauen und Mädchen sei aufgrund der schwierigen Lebensumstände die Gefahr besonders hoch, ihren und der Familie Unterhalt durch Prostitution verdienen zu müssen. Der Angola-Menschenrechtsbericht der US-Regierung für das Jahr 2003 spreche davon, dass es üblich sei, dass Frauen und Mädchen, darunter auch Minderjährige, angesichts fehlender alternativer Möglichkeiten der Einkommenserzielung ihren Unterhalt durch Anbieten sexueller Dienstleistungen beschafften. Allein in Luanda solle es demzufolge mindestens 1.000 minderjährige Prostituierte geben.

Diese Aussagen stehen nicht im Widerspruch zur Einschätzung des Senats sowie des Auswärtigen Amtes, dass Kindern, die im Familienverband, insbesondere mit dem männlichen Familienoberhaupt in ihr Heimatland zurückkehren, aufgrund der humanitären Situation in Luanda keine extremen Gefahren drohen, die die Annahme eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG gebieten würden. Zwar mag es sein, dass sich aus dem Bericht des US-Departments vom 28. Februar 2005 ergibt, dass sowohl Prostitution der Frauen als auch der Kinder zur Tagesordnung gehört und eingesetzt wird, um den Lebensunterhalt zu verdienen, im vorliegenden Fall geht der Senat jedoch davon aus, dass die mittlerweile 14-jährige Klägerin auf die Hilfe ihres Vaters zurückgreifen kann und daher bei Rückkehr nach Luanda nicht in eine ausweglose Situation gebracht wird.