VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 23.11.2005 - 12 UE 3141/03.A - asyl.net: M8363
https://www.asyl.net/rsdb/M8363
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Kurden, Gruppenverfolgung, interne Fluchtalternative, Nachfluchtgründe, PKK, Unterstützung, Situation bei Rückkehr, Einreise, Grenzkontrollen, Auswärtiges Amt
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

1. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger, an dessen kurdischer Volkszugehörigkeit der Senat keinen Zweifel hat, bis zu seiner Ausreise aus der Türkei Ende 1990/Anfang 1991 einer landesweiten politischen Verfolgung als kurdischer Volkszugehöriger oder aus individuellen Gründen ausgesetzt war.

a. Der Kläger unterlag im Zeitpunkt seiner Ausreise im Hinblick auf seine kurdische Volkszugehörigkeit keiner politischen Verfolgung. Der erkennende Senat hat Feststellungen zu einer bestehenden Gruppenverfolgung der kurdischen Volksgruppe in den dem Notstandsrecht unterliegenden Gebieten der Türkei erst von etwa Mitte 1993 bis Anfang 2002 getroffen; zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers 1990/91 haben sich hingegen keine hinreichenden Anhaltspunkte hierfür ergeben.

Ein kurdischer Volkszugehöriger konnte in der Türkei in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise des Klägers auch außerhalb seiner Heimatregion leben, ohne dass ihm politische Verfolgung drohte, insbesondere wenn er sich in den Großstädten Ankara und Istanbul niederließ (vgl. Hess.VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -, zuletzt 20.01.2005 - 12 UE 871/03.A).

b. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger in der Türkei vor seiner Ausreise aus individuellen Gründen politische Verfolgung erlitten hat.

Der somit unverfolgt ausgereiste Kläger kann seine Flüchtlingsanerkennung nach der nunmehr seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes zum 1. Januar 2005 anwendbaren Vorschrift des § 60 Abs. 1 AufenthG auch nicht aufgrund eines nach der Ausreise eingetretenen Tatbestands verlangen.

Zwar ist festzustellen, dass der Bevölkerungsgruppe der Kurden in den Notstandsprovinzen der Türkei nach der Ausreise des Klägers seit etwa Mitte 1993 bis Anfang 2002 politische Verfolgung in der Form der örtlich begrenzten Gruppenverfolgung gedroht hat. Der Senat ist jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass etwa seit Beginn des Jahres 2002 eine Gruppenverfolgung kurdischer Volkszugehöriger generell nicht mehr festgestellt werden kann.

Ein kurdischer Volkszugehöriger hat grundsätzlich die Möglichkeit, sein Heimatland Türkei zu erreichen, ohne dass ihm die Gefahr droht, an der Landesgrenze oder am Flughafen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein.

Der beschließende Senat sieht es auch nicht als erforderlich an, die Offenlegung der den hier vorgelegten Auskünften zugrunde gelegten Informationsquellen zu erwirken. Es ist durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass gegen eine Verwertung amtlicher Auskünfte des Auswärtigen Amts in Asylstreitverfahren grundsätzliche Bedenken nicht bestehen (BVerwG, 22.01.1963 - VI C 52.65 -, BVerwGE 31, 212; BVerwG, 22.01.1985 - 9 C 52.83 -, EZAR 630 Nr. 15 = NVwZ 1986, 35; vgl. auch BVerfG, 23.02.1983 - 1 BvR 990/82 -, BVerfGE 63, 197 = EZAR 150 Nr. 3) und dass diese selbständige Beweismittel darstellen, die auch ohne förmliches Beweisverfahren im Wege des Freibeweises oder im Falle der Beiziehung aus einem anderen Verfahren als Urkunden verwertet werden dürfen (BVerwG, 31.07.1985 - 9 B 71.85 -, EZAR 630 Nr. 20 = InfAuslR 1986, 74; BVerwG, 15.10.1985 - 9 C 3.85 -, EZAR 630 Nr. 22 = ZfSH/SGB 1986, 505; ausführlich dazu Hess. VGH, 07.07.1997 - 12 UE 2019/96.A -). Ferner ist durch die Rechtsprechung geklärt, dass nur ausnahmsweise die den amtlichen Auskünften des Auswärtigen Amts zugrunde liegenden Erkenntnisquellen in Gerichtsverfahren überprüft werden müssen (BVerwG, 09.03.1984 - 9 B 922.81 -, Buchholz 310 § 87 VwGO Nr. 4; BVerwG, 21.07.1985 - 9 B 71.85 -, EZAR 630 Nr. 20 = InfAuslR 1986, 74).