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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 17.05.2006 - 1 B 100.05 - asyl.net: M8367
https://www.asyl.net/rsdb/M8367
Leitsatz:
Schlagwörter: Revisionsverfahren, Darlegungserfordernis, Revisionsantrag, Frist, Monatsfrist, Feiertag, Russland, Tschetschenen, interne Fluchtalternative, Divergenzrüge, Freizügigkeit, Registrierung, Sachaufklärungspflicht, Verfahrensrecht, grundsätzliche Bedeutung, Existenzminimum, Schattenwirtschaft, Zumutbarkeit
Normen: VwGO § 133 Abs. 3 S. 3; AufenthG § 60 Abs. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
Auszüge:

Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde entspricht aber schon nicht den Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

1. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Kläger auf Anerkennung als politische Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG (und hilfsweise auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 ff. AufenthG) im Ergebnis verneint, weil sie "selbst bei der unterstellten Anwendbarkeit" des herabgestuften Prognosemaßstabs (im Hinblick auf die tschetschenische Volkszugehörigkeit der Klägerin) vor politischer Verfolgung auf dem Territorium der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative finden könnten, wo sie vor politischer Verfolgung hinreichend sicher seien (UA S. 14 ff., 19) und unter Inanspruchnahme des in der Verfassung garantierten Rechts auf Freizügigkeit einen gesicherten Aufenthalt sowie das wirtschaftliche Existenzminimum erlangen könnten (UA S. 19 ff. und 25 ff.).

2. Vor diesem Hintergrund erheben die Kläger zunächst eine Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). (...)

Die Beschwerde zeigt nämlich keinen Rechtssatz in der Entscheidung des Berufungsgerichts auf, der sich in einen rechtsgrundsätzlichen Widerspruch zu den zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts setzt.

Außerdem liegt der behauptete rechtliche Widerspruch auch ersichtlich nicht vor.

4. Auch die weiter erhobenen Grundsatzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) entsprechen nicht den Darlegungsanforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Insoweit hält die Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam, "ob und inwieweit die wirtschaftlichen Zumutbarkeitskriterien für die Annahme einer inländischen Fluchtalternative gegeben sind, wenn die Existenzsicherung an den möglichen Ort der inländischen Fluchtalternative nur durch Betätigung im Bereich der sog. "Schattenwirtschaft" möglich ist" und "ob für die Annahme einer inländischen Fluchtalternative ein rechtlich gesicherter Aufenthalt am Ort der möglichen Fluchtalternative gegeben sein muss oder ob hierfür ein faktischer Aufenthalt genügt".

Auch soweit die Beschwerde nach den Möglichkeiten einer Existenzsicherung am Ort der inländischen Fluchtalternative durch Betätigung im Bereich der sog. Schattenwirtschaft fragt, wird eine fallübergreifend klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts, die sich auf der Grundlage des Berufungsurteils stellt und daher in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden könnte, nicht aufgezeigt.

Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - soweit in verallgemeinerungsfähiger Weise möglich - bereits geklärt, dass ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich immer dann bietet, wenn sie dort durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (vgl. Beschluss vom 9. Januar 1998 - BVerwG 9 B 1130.97 - <juris> m.w.N.). Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten als Tätigkeiten im Bereich einer "Schatten- oder Nischenwirtschaft" bezeichnet werden. Ebenfalls bereits entschieden ist, dass der Verweis auf eine kriminelle Arbeit nicht zumutbar wäre, also eine Arbeit etwa im Sinne "mafiöser" Erwerbstätigkeit, die für eine kriminelle Organisation geleistet wird und - wie bei Mitgliedern der Mafia - in der fortgesetzten Begehung von oder der Teilnahme an Verbrechen besteht (Beschluss vom 9. Januar 1998 a.a.O.; vgl. ferner zur Aufklärungspflicht in Bezug auf Prostitution den Beschluss vom 11. Februar 1999 - BVerwG 9 B 381.98 - DVBl 1999, 1206).